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Transaktionen

0068 - Netstal-Maschinen AG

Empfehlung Netstal-Maschinen AG vom 25. April 2001

Ausnahme von der Pflicht der Siemens Aktiengesellschaft, Berlin/München, zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes an die Aktionäre der Netstal-Maschinen AG, Näfels

A.
Die Netstal-Maschinen AG (Netstal) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Näfels. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 29'041'500.--, eingeteilt in 290'200 Inhaberaktien von je CHF 100.-- Nennwert und 4'300 Inhaberaktien von je CHF 5.-- Nennwert. Beide Aktienkategorien sind an der Schweizer Börse kotiert.

B.
Wichtigster Aktionär der Netstal ist die Atecs Mannesmann Aktiengesellschaft (Atecs) mit Sitz in Düsseldorf, die 260'730 Inhaberaktien von je CHF 100.-- und damit 89.8 % des Kapitals und 88.5% der Stimmrechte der Netstal hält. Die Atecs gehört dem Mannesmann-Konzern an. Sie wurde von der Muttergesellschaft des Mannesmann-Konzerns, der Mannesmann Aktiengesellschaft (Mannesmann) mit Sitz in Düsseldorf, im Oktober 1999 gegründet, um die Unternehmensbereiche Engineering und Automotive zu verselbständigen (vgl. Empfehlung in Sachen Netstal-Maschinen AG vom 1. Dezember 1999).

Der Mannesmann-Konzern entschloss sich in der Folge, sämtliche Atecs-Aktien an die Robert Bosch GmbH (Bosch), Stuttgart, und die Siemens Aktiengesellschaft (Siemens), Berlin/München zu veräussern. Mit Kaufvertrag vom 14. April 2000 wurde vereinbart, dass Bosch und Siemens je zur Hälfte die Mehrheit des Aktienkapitals an Atecs erwerben sollen.

C.
Mit Gesuch vom 9. Juni 2000 beantragten Bosch und Siemens der Übernahmekommission, ihnen für den vorgesehenen Erwerb der von der Mannesmann Investment gehaltenen Beteiligung an der Atecs eine Ausnahme von der Angebotspflicht für alle Aktien der Netstal zu gewähren. Diesem Gesuch wurde mit Empfehlung vom 14. Juli 2000 stattgegeben.

D.
Das Einholen der fusionskontrollrechtlichen Bewilligungen für den Erwerb der Aktienmehrheit durch Bosch und Siemens nahm mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich geplant. Noch vor dem Vollzug des Kaufvertrages wurde in einem Nachtrag vom 22./23./26. Januar 2001 zwischen Bosch/Siemens und Mannesmann vereinbart, dass Bosch aus dem Vertrag ausscheiden und Siemens alle vertraglichen Rechte und Pflichten von Bosch als Käuferin übernehmen soll. Siemens beantragt deshalb der Übernahmekommission mit Gesuch vom 4. April 2001, ihr im Hinblick auf den nunmehr alleinigen Erwerb der Aktienmehrheit von Atecs eine Ausnahme von der Angebotspflicht für alle Aktien der Netstal zu gewähren.

E.
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 6. April 2001 wurde der Verwaltungsrat der Netstal aufgefordert, im Namen aller Aktionäre zum erwähnten Gesuch Stellung zu nehmen. Innert erstreckter Frist teilte dieser der Übernahmekommission mit, dass er das Ausnahmegesuch der Siemens unterstütze.

F.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus den Herren Ulrich Oppikofer (Präsident), Peter Hügle und Walter Knabenhans gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Grund zur Ausnahmegewährung

1.1 Die Gesuchstellerin bestreitet nicht, dass der indirekte Erwerb der Beteiligung an der Netstal einen Kontrollwechsel darstellt, der die Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG an deren Aktionäre auszulösen vermag. Sie macht jedoch geltend, dass die „Mannesmann Plastics Machinery Group" unmittelbar nach Abschluss des Kaufvertrages veräussert werden soll. Damit werde die rasche Trennung von demjenigen Teil des Atecs-Konzerns vollzogen, dem Netstal sowie fünf weitere Tochtergruppen angehören. Diese Veräusserungsabsicht zeige das geringe Interesse der Gesuchstellerin an der Netstal. Die Gesuchstellerin versichert zudem, dass sie in der Zwischenzeit nicht beabsichtige, die Konzernstruktur, in der Netstal integriert ist, zu verändern. Aus diesem Grund sei eine Ausnahme im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK zu gewähren. Gemäss dieser Bestimmung kann ein Erwerber von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots befreit werden, wenn der vorausgegangene Erwerb indirekt im Sinne von Art. 26 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK erfolgte, dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben.

1.2 Wie bereits in der Empfehlung in Sachen Netstal-Maschinen AG vom 14. Juli 2000 ausgeführt, enthalten sowohl der Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK wie auch die Materialien keine Präzisierung, unter welchen Bedingungen die Interessen der Aktionäre der (indirekt) übernommenen Gesellschaft als "gewahrt" betrachtet werden können. Die teleologische Auslegung ergibt, dass diese Voraussetzung dann als erfüllt gelten kann, wenn der die Angebotspflicht auslösende Erwerb die Geschäftspolitik und den Geschäftsgang der indirekt übernommenen Gesellschaft voraussichtlich nur unwesentlich beeinflusst. Die Angebotspflicht bezweckt, die Minderheitsaktionäre vor den negativen Konsequenzen eines Kontrollwechsels zu schützen, indem sie ihnen im Falle eines Kontrollwechsels eine Ausstiegsmöglichkeit zu einem fairen Preis gibt. Diesem Zweck liegt die Annahme zu Grunde, dass der Erwerber der Gesellschaft Einfluss auf deren Führung ausüben wird. Ist dies nicht der Fall, weil die Zielgesellschaft beispielsweise in einen Konzern integriert ist und der Erwerber der Muttergesellschaft nicht beabsichtigt, diese Konzernstruktur zu ändern, kommt dem Schutz der Minderheitsaktionäre eine geringere Bedeutung zu.

Bei der Beurteilung der Konsequenzen eines Kontrollwechsels auf ein bestimmtes Unternehmen innerhalb des Konzerns steht der Grad der Diversifikation der übernommenen Konzern-Gesellschaften im Vordergrund. Ein bedeutender Einfluss der indirekten Übernahme auf den Geschäftsgang einer einzelnen Gesellschaft erscheint umso weniger wahrscheinlich, je mehr sich die Tätigkeitsgebiete der erworbenen Gesellschaften unterscheiden. Die Übernahmekommission hat deshalb in ihrer Empfehlung in Sachen Netstal-Maschinen AG vom 14. Juli 2000, E 1.2 dargelegt, dass aufgrund der Diversifikation innerhalb des Atecs-Konzerns und der wirtschaftlichen Ausrichtung von Siemens und Bosch kein bedeutsamer Einfluss auf den Geschäftsgang der Netstal zu erwarten sei. An dieser Beurteilung ändert sich aus heutiger Sicht auch nichts, wenn mit Bosch eine Partei aus dem Übernahmevertrag ausscheidet. Siemens beabsichtigt weiterhin nicht, Einfluss auf die Führung der Netstal zu nehmen. Dies manifestiert sie deutlich mit ihren Plänen, die „Mannesmann Plastics Machinery Group" kurzfristig und integral an einen geeigneten Dritten zu veräussern. Dieser Verkauf wird zudem de facto eine Angebotspflicht zu Lasten des künftigen Erwerbers auslösen, sofern sich dieser nicht auf eine gesetzliche Ausnahme berufen kann.

Im Weiteren sind der Übernahmekommission keine Tatsachen bekannt, die eine Gefährdung der Interessen der Minderheitsaktionäre der Netstal zur Folge haben könnten.

1.3 Aus den Ausführungen unter Ziff. 1.2 kann auch geschlossen werden, dass es nicht das Hauptziel der Siemens ist, durch den Erwerb der Beteiligung an der Atecs die Kontrolle über Netstal zu erlangen. Die Voraussetzungen von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK sind somit erfüllt. Die ersuchte Ausnahme von der Angebotspflicht wird daher gewährt.

1.4 Siemens stellt in ihrem Gesuch um Ausnahme von der Angebotspflicht die rasche Veräusserung der Netstal als Bestandteil der „Mannesmann Plastics Machinery Group" in Aussicht. Die Bewilligung der Ausnahme ist aus diesem Grund zeitlich zu begrenzen, wobei eine Frist bis zum 31. Dezember 2001 angemessen erscheint.

2. Auflage

Gemäss Art. 34 Abs. 3 BEHV-EBK wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für die Netstal verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrates zu veröffentlichen, mit welcher sie sich dem Gesuch der Bosch und der Siemens angeschlossen hat. Diese Massnahme ist notwendig, um den Aktionären der Netstal zu ermöglichen, von ihrem Einspracherecht nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK in Kenntnis der Sachlage Gebrauch zu machen. Auf die Veröffentlichung der verwaltungsrätlichen Stellungnahme findet Art. 32 UEV-UEK sinngemäss Anwendung (siehe Empfehlung i.S. Banque cantonale de Genève vom 29. Juni 2000, E. 1.2). Die Stellungnahme des Verwaltungsrates muss demnach zumindest in einer deutsch- und einer französischsprachigen Zeitung publiziert werden, und zwar in einer Art, die eine nationale Verbreitung sicherstellt. Weiter muss die Stellungnahme auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden (Art. 32 Abs. 3 UEV-UEK). Die Publikation muss am Tag der Bekanntgabe der Ausnahmegewährung im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) erfolgen, d.h. am 8. Mai 2001 (siehe E. 3. unten), und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiedergeben.

3. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird in Anwendung von Art. 23 Abs. 3 BEHG am ersten Tag nach Eröffnung an die Gesuchstellerin, d.h. am 26. April 2001, auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht. Die Befreiung von der Angebotspflicht wird im SHAB am 8. Mai 2001 publiziert.

4. Gebühr

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK wird für die Gewährung der vorliegenden Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes eine Gebühr erhoben. Der Ausschuss setzt die Gebühr auf CHF 15'000.-- fest.


Gestützt auf diese Erwägungen erlässt die Übernahmekommission die folgende Empfehlung:

  1. Der Siemens Aktiengesellschaft wird für den Erwerb einer beherrschenden Beteiligung an der Atecs Mannesmann Aktiengesellschaft bis zum 31. Dezember 2001 eine Ausnahme von der Pflicht gewährt, den Aktionären der Netstal-Maschinen AG ein öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten.

  2. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für die Netstal-Maschinen AG verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrates zu veröffentlichen, mit welcher sie sich für die Erteilung dieser Ausnahme ausgesprochen hat. Die Publikation muss am 8. Mai 2001 zumindest in einer deutsch- und einer französischsprachigen Zeitung in einer Art, die eine nationale Verbreitung gewährleistet, erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiedergeben. Die Stellungnahme des Verwaltungsrates muss auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welches Börseninformationen verbreitet, zugestellt werden.

  3. Diese Empfehlung wird am 26. April 2001 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

  4. Die Gebühr beträgt CHF 15'000.--.

 

Der Präsident des Ausschusses:

Ulrich Oppikofer

 

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • Siemens Aktiengesellschaft, durch ihren Vertreter,
  • Netstal-Maschinen AG, durch ihren Vertreter,
  • die EBK.