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Transaktionen

0068 - Netstal-Maschinen AG

Empfehlung Netstal-Maschinen AG vom 14. Juli 2000

Ausnahme von der Pflicht der Robert Bosch GmbH, Stuttgart, und der Siemens Aktiengesellschaft, Berlin/München, zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes an die Aktionäre der Netstal-Maschinen AG, Näfels

A.
Die Netstal-Maschinen AG (Netstal) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Näfels. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 29'041'500.--, eingeteilt in 290'200 Inhaberaktien von je CHF 100.-- Nennwert und 4'300 Inhaberaktien von je CHF 5.-- Nennwert. Beide Aktienkategorien sind an der Schweizer Börse kotiert.

B.
Wichtigster Aktionär der Netstal ist die Atecs Mannesmann Aktiengesellschaft (Atecs) mit Sitz in Düsseldorf, die 260'730 Inhaberaktien von je CHF 100.-- und damit 89.8 % des Kapitals und 88.5% der Stimmrechte der Netstal hält. Die Atecs gehört dem Mannesmann-Konzern an. Sie wurde von der Muttergesellschaft des Mannesmann-Konzerns, der Mannesmann Aktiengesellschaft (Mannesmann) mit Sitz in Düsseldorf, im Oktober 1999 gegründet, um die Unternehmensbereiche Engineering und Automotive zu verselbständigen. Auch die Beteiligung an der Netstal wurde in diese Gesellschaft eingebracht (siehe dazu die Empfehlung vom 1. Dezember 1999). 

Nach Einbringung der Unternehmensbereiche Engineering und Automotive in die Atecs werden 54 % der Atecs-Aktien im Besitz der Mannesmann und 46 % im Besitz der Mannesmann Investment GmbH (Mannesmann Investment), Düsseldorf, einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Mannesmann, sein. Ursprünglich wollte der Mannesmann-Konzern die Atecs-Aktien im Rahmen eines Börsenganges platzieren. In Abweichung von diesem Vorhaben verzichtete er jedoch auf eine Kotierung und entschied sich für eine Veräusserung der Atecs-Aktien an die Robert Bosch GmbH (Bosch), Stuttgart, und die Siemens Aktiengesellschaft (Siemens), Berlin/München.

C.
Mit Kaufvertrag vom 14. April 2000 wurde zwischen Mannesmann und Mannesmann Investment einerseits und Bosch und Siemens andererseits der Erwerb der von Mannesmann Investment künftig gehaltenen Atecs-Aktien durch Bosch und Siemens je zur Hälfte vereinbart. Der Vollzug der Transaktion ist an diverse Bedingungen geknüpft, die voraussichtlich im August 2000 erfüllt sein werden. Der Kaufvertrag sieht weiter vor, dass die Verkäufer vor dessen Vollzug eine Kapitalerhöhung unter Ausschluss ihrer Bezugsrechte beschliessen werden, damit Bosch und Siemens danach in jedem Fall über 50% des Grundkapitals halten. Gemäss Kaufvertrag wird nach dem Vollzug der Transaktion und nach einer allfälligen Kapitalerhöhung der Atecs die Beteiligung der Bosch und der Siemens am Kapital der Atecs mindestens 50 % betragen. Die restlichen Atecs-Aktien sind Gegenstand einer Put/Call-Options-Vereinbarung, nach welcher Mannesmann ihre Atecs-Aktien bis am 30. September 2002 der Bosch und der Siemens zum Kauf andienen kann. Bosch und Siemens können ihrerseits vom 1. April 2002 bis zum 31. Dezember 2003 die Übertragung dieser Aktien verlangen.

D.
Mit Gesuch vom 9. Juni 2000 ersuchten Bosch und Siemens die Übernahmekommission, ihnen für den vorgesehenen Erwerb der von der Mannesmann Investment gehaltenen Beteiligung an der Atecs eine Ausnahme von der Angebotspflicht für alle Aktien der Netstal zu gewähren.

E.
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 16. Mai 2000 wurde der Verwaltungsrat der Netstal aufgefordert, im Namen aller Aktionäre zum erwähnten Gesuch Stellung zu nehmen. Innert erstreckter Frist teilte dieser der Übernahmekommission in einer begründeten Stellungnahme mit, dass er das Ausnahmegesuch der Bosch und der Siemens unterstütze.

F.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Herrn Ulrich Oppikofer (Präsident), Frau Maja Bauer-Balmelli und Herrn Peter Hügle gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Grund zur Ausnahmegewährung

1.1 Bosch und Siemens bestreiten nicht, dass der Erwerb der Beteiligung an der Netstal einen Kontrollwechsel darstellt, der die Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG an deren Aktionäre auslösen wird. Sie sind jedoch der Ansicht, dass ihnen auf Grund der marginalen Bedeutung der Netstal innerhalb der Atecs eine Ausnahme im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK zu gewähren sei. Gemäss dieser Bestimmung kann ein Erwerber von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots befreit werden, wenn der vorausgegangene Erwerb indirekt im Sinne von Art. 26 i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK erfolgte, dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben. 

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass Bosch und Siemens, welche in gemeinsamer Absprache im Sinne von Art. 27 BEHV-EBK handeln, indirekt über Atecs deren Beteiligung von 88.5 % der Stimmrechte an der Netstal erwerben. Es bleibt somit nur zu prüfen, ob die Interessen der Minderheitsaktionäre der Netstal gewahrt sind (siehe E. 1.2 unten) und dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt (siehe E. 1.3 unten).

1.2 Weder der Wortlaut von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK noch die Materialien präzisieren, unter welchen Bedingungen die Interessen der Aktionäre der (indirekt) übernommenen Gesellschaft als "gewahrt" betrachten werden können. Die teleologische Auslegung ergibt, dass diese Voraussetzung dann als erfüllt gelten kann, wenn der die Angebotspflicht auslösende Erwerb die Geschäftspolitik und den Geschäftsgang der indirekt übernommenen Gesellschaft voraussichtlich nur unwesentlich beeinflusst. Die Angebotspflicht bezweckt, die Minderheitsaktionäre vor den negativen Konsequenzen eines Kontrollwechsels zu schützen, indem sie ihnen im Falle eines Kontrollwechsels eine Ausstiegsmöglichkeit zu einem fairen Preis gibt. Diesem Zweck liegt die Annahme zu Grunde, dass der Erwerber der Gesellschaft Einfluss auf deren Führung ausüben wird. Ist dies nicht der Fall, weil die Zielgesellschaft beispielsweise in einen Konzern integriert ist und der Erwerber der Muttergesellschaft nicht beabsichtigt, diese Konzernstruktur zu ändern, kommt dem Schutz der Minderheitsaktionäre eine geringere Bedeutung zu.

Der Grad der Diversifikation der übernommenen Konzern-Gesellschaften steht für die Beurteilung der Konsequenzen eines Kontrollwechsels auf ein bestimmtes Unternehmen innerhalb dieses Konzerns im Vordergrund. Ein bedeutender Einfluss der indirekten Übernahme auf den Geschäftsgang einer einzelnen Gesellschaft erscheint nämlich umso weniger wahrscheinlich, je mehr sich die Tätigkeitsgebiete der erworbenen Gesellschaften unterscheiden.

Der Atecs Konzern besteht aus zwei Unternehmensbereichen: Engineering und Automotive. Der Unternehmensbereich Engineering besteht aus folgenden Unternehmensgruppen:

  • Rexroth (Hersteller von Komponenten und Systeme für die Industrie, insbesondere hydraulisch, pneumatisch, elektrisch, elektronisch oder mechanisch),
  • Dematic (Fördertechnik) und
  • Demag Krauss-Maffei (Kunststofftechnik, Verdichter, Verfahrenstechnik, Lasertechnik).

Dieser Unternehmensbereich beschäftigte Ende 1999 46'054 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Umsatz von Eur 6'648 Mio. 
Der Unternehmensbereich Automotive besteht aus folgenden Unternehmensgruppen: 

  • VDO (Informations- und Cockpitsysteme für Kraftfahrzeuge, sowie Navigations-, Telematik-, Kommunikations- und Audiosysteme, Steuer-, Regel- und Kraftstoffsysteme) und
  • Sachs (Automobilkomponenten).

Dieser Unternehmensbereich beschäftigte Ende 1999 43'778 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Umsatz von Eur 5'656 Mio.

Die Netstal ist im Bereich der Kunststoff- und Spritzgiesstechnologie tätig. Demag Krauss-Maffei ist als einzige der fünf Unternehmensgruppen der Atecs auch in diesem Gebiet aktiv. Netstal beschäftigte Ende 1999 729 Mitarbeiter und erwirtschaftete einen Umsatz von Eur 198 Mio., was 1.6 % des Umsatzes der Atecs und 3 % des Umsatzes des Unternehmensbereiches Engineering entspricht. Zudem decken sich die Haupttätigkeiten der Bosch und Siemens mit dem Tätigkeitsgebiet der Netstal nicht. Die Bosch produziert Automobilkomponenten, die Siemens stellt Industrie- und Konsumgüter in den verschiedensten Bereichen her. In Anbetracht der Grösse der Netstal, der Diversifikation innerhalb des Atecs-Konzerns und der wirtschaftlichen Ausrichtung von Bosch und Siemens kann davon ausgegangen werden, dass der Erwerb der Atecs durch Bosch und Siemens keinen bedeutsamen Einfluss auf den Geschäftsgang der Netstal haben wird. Da der Übernahmekommission im Weiteren keine Tatsachen bekannt sind, die eine Gefährdung der Interessen der Minderheitsaktionäre der Netstal zur Folge haben könnten, ist die Voraussetzung von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK in diesem Punkt erfüllt.

Zu beachten ist, dass diese Ausführungen hinfällig werden, falls eine der zwei übernehmenden Gesellschaften die alleinige Kontrolle über die Netstal erlangen sollte. In einem solchen Fall würde die Angebotspflicht wiederum ausgelöst. Die Frage der Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebotes an die Netstal-Aktionäre müsste dann von Neuem geprüft werden. Eine Neubeurteilung wäre ebenfalls notwendig, wenn sich die obgenannte für die Ausnahmegewährung in Betracht gezogene Ausgangslage ändern würde.

Als weiteres Indiz für das Fehlen eines bedeutenden Einflusses der angesprochenen Transaktion auf den Geschäftsgang der Netstal kann die Tatsache angeführt werden, dass Mannesmann zunächst einen Börsengang der Atecs geplant hatte. Dies zeigt, dass der Verkauf der Atecs nicht realisiert wurde, um in erster Linie besonderen Bedürfnissen von Bosch und Siemens zu entsprechen. Vielmehr haben diese beiden Gesellschaften eine Gruppe von Unternehmen gekauft, die von Mannesmann auf jeden Fall verkauft worden wäre. Dies spricht ebenso für die Gewährung der beantragten Ausnahme von der Angebotspflicht.

1.3 Aus den Ausführungen unter Ziff. 1.2 ist weiter zu schliessen, dass es nicht das Ziel der Bosch und der Siemens war, durch den Erwerb der Beteiligung an der Atecs die Kontrolle über Netstal zu erlangen. Die Voraussetzungen von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK sind folglich erfüllt. Die ersuchte Ausnahme von der Angebotspflicht wird damit gewährt.

1.4 Eine Ausnahme von der Angebotspflicht muss zeitlich begrenzt werden. Die Ausnahmedauer muss es Mannesmann und Mannesmann Investment sowie Bosch und Siemens erlauben, die vorgesehene Beteiligungsübertragung innerhalb einer vernünftigen Frist durchzuführen. Im vorliegenden Fall wird eine Frist bis 31. Oktober 2000 als angemessen betrachtet.

2. Auflage

Gemäss Art. 34 Abs. 3 BEHV-EBK wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für die Netstal verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrates zu veröffentlichen, mit welcher sie sich dem Gesuch der Bosch und der Siemens angeschlossen hat. Diese Massnahme ist notwendig, um den Aktionären der Netstal zu ermöglichen, von ihrem Einspracherecht nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK in Kenntnis der Sachlage Gebrauch zu machen. Auf die Veröffentlichung der verwaltungsrätlichen Stellungnahme findet Art. 32 UEV-UEK sinngemäss Anwendung (siehe Empfehlung i.S. Banque cantonale de Genève vom 29. Mai 2000, E. 1.2). Die Stellungnahme des Verwaltungsrates muss demnach zumindest in einer deutsch- und einer französischsprachigen Zeitung publiziert werden, und zwar in einer Art, die eine nationale Verbreitung sicherstellt. Weiter muss die Stellungnahme auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden (Art. 32 Abs. 3 UEV-UEK). Die Publikation muss am Tag der Bekanntgabe der Ausnahmegewährung im Schweizerischen Handelsamtsblatt (SHAB) erfolgen, d.h. am 25. Juli 2000 (siehe E. 3. unten), und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiedergeben.

3. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird in Anwendung von Art. 23 Abs. 3 BEHG am 18. Juli 2000 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht. Die Befreiung von der Angebotspflicht wird im SHAB am 25. Juli 2000 publiziert.

4. Gebühr

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK wird für die Gewährung der vorliegenden Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebotes eine Gebühr erhoben. Der Ausschuss setzt die Gebühr auf CHF 15'000.-- fest.


Gestützt auf diese Erwägungen erlässt die Übernahmekommission die folgende Empfehlung: 

  1. Der Robert Bosch GmbH und der Siemens Aktiengesellschaft wird für den Fall des Erwerbs einer beherrschenden Beteiligung an der Atecs Mannesmann Aktiengesellschaft bis am 31. Oktober 2000 eine Ausnahme von der Pflicht gewährt, den Aktionären der Netstal-Maschinen AG ein Angebot zu unterbreiten.

  2. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für die Netstal-Maschinen AG verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrates zu veröffentlichen, mit welcher sie sich für die Erteilung dieser Ausnahme ausgesprochen hat. Die Publikation muss am 25. Juli 2000 zumindest in einer deutsch- und einer französischsprachigen Zeitung in einer Art, die eine nationale Verbreitung gewährleistet, erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiedergeben. Die Stellungnahme des Verwaltungsrates muss auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden.

  3. Diese Empfehlung wird am 18. Juli 2000 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

  4. Die Gebühr beträgt CHF 15'000.--.

 

Der Präsident des Ausschusses:

Ulrich Oppikofer

 

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an: 

  • Netstal-Maschinen AG, durch ihren Vertreter,
  • Robert Bosch GmbH und Siemens Aktiengesellschaft, durch ihren Vertreter,
  • die EBK.