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0384 - sia Abrasives Holding AG

Verfügung sia Abrasives Holding AG vom 11. Februar 2009

Öffentliches Kaufangebot der Behr Deflandre & Snozzi BDS AG, Buchberg, sowie der Scintilla AG, Solothurn, für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der sia Abrasives Holding AG, Frauenfeld - Befreiung von der Pflicht zur Publikation eines Angebots

Sachverhalt

A.                                                                                                                                                                                                           Am 26. August 2008 veröffentlichte Behr Deflandre & Snozzi BDS AG, Buchberg (BDS oder Anbieterin 1) als Vertreterin der Anbietergruppe, bestehend aus der BDS, der Behr Bircher Cellpack BBC Industrie-Holding AG, Villmergen (BBC) und Herrn Prof. Dr. Giorgio Behr, Buchberg (als wirtschaftlich Berechtigter der juristischen Personen der Anbietergruppe) die Voranmeldung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden Aktien (sia-Namenaktien) der sia Abrasives Holding AG, Frauenfeld (sia oder Zielgesellschaft).

B.                                                                                                                                                                                                          Am 1. Oktober 2008 schloss BBC mit der Scintilla AG,  Solothurn (Scintilla oder Anbieterin 2), einer von der Robert Bosch GmbH, Deutschland, indirekt zu 100% beherrschte Gesellschaft, einen Aktienkaufvertrag über 298'801 sia-Namenaktien ab, entsprechend 39.8% des Aktienkapitals und der Stimmrechte der sia. BBC verkaufte damit sämtliche von ihr resp. der Anbietergruppe gehaltenen Aktien an die Anbieterin 2. Am 2. Oktober 2008 veröffentlichte Scintilla ebenfalls eine Voranmeldung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden sia-Namen­aktien.

C.                                                                                                                                                                                                          Mit Eingabe vom 17. November 2008 hat die Anbieterin 1 ein Gesuch um Widerruf ihres Angebots, eventualiter um erneute Verlängerung ihrer Frist zur Veröffentlichung eines Angebots gestellt.

D.                                                                                                                                                                                                          Mit Empfehlung vom 18. November 2008 (Empfehlung III) verlängerte die Übernahmekommission die Frist für die Veröffentlichung des Angebots der Anbieterin 1 bis nach dem Abwicklungsdatum des Angebots von Scintilla. In dieser Empfehlung wurde auch die Prüfstelle der Scintilla angewiesen, den ordnungsgemässen Vollzug ihres Angebots innert zwei Wochen nach dessen Abwicklung gegenüber der Übernahmekommission zu bestätigen. Am 19. November 2008 erfolgte die landesweite Verbreitung des öffentlichen Kaufangebots der Anbieterin 2 für alle sich im Publikum befindenden sia-Namen­aktien.

E.                                                                                                                                                                                                          Am 16. Januar 2009 publizierte die Anbieterin 2 das definitive Endergebnis in den elektronischen Medien und am 21. Januar 2009 in den Zeitungen. Darin gab sie jeweils bekannt, dass sie ins­gesamt über eine Beteiligung von 99.6% der im Handelsregister eingetragenen sia-Namen­aktien verfüge. Ebenso hielt Scintilla fest, sie werde, wie im Angebotsprospekt ausgeführt, die sia-Na­men­aktien von der SIX Swiss Exchange dekotieren und die nicht angedienten Namenaktien für kraftlos erklären lassen. Am 21. Januar 2009 erfolgte der Vollzug des Angebots der Scin­tilla. 

F.                                                                                                                                                                                                          Mit Datum vom 2. Februar 2009 reichte die Prüfstelle der Anbieterin 2 (Prüfstelle) der Übernah­me­kom­mis­sion ihren Zwischenbericht zum öffentlichen Kaufangebot der Scintilla ein. Darin hielt sie fest, dass sie auf keine Sachverhalte gestossen sei, aus denen sie schliessen müsste, dass das zustande gekommene Angebot nicht ordnungsgemäss abgewickelt worden sei.

G.                                                                                                                                                                                                          Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus den Herren Luc Thévenoz (Präsident), Thierry de Marignac und Henry Peter gebildet. 

Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Übergangsrecht

1.1 Materielle Bestimmungen

[1] Per 1. Januar 2009 ist die neue Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote vom 21. August 2008 (UEV) in Kraft getreten, welche die bisherige Verordnung der Übernahmekommission vom 21. Juli 1997 (UEV-UEK) ablöst. Die Voranmeldung des öffentlichen Kaufangebots von BDS auf sia wurde noch im Jahr 2008 veröffentlicht. Die Empfehlungen der Übernahmekommission zur Verlängerung der Frist zur Publikation eines Angebots ergingen ebenfalls im Jahr 2008. Auch das Gesuch um Widerruf des Angebots wurde noch im Jahr 2008 eingereicht (vgl. Sachverhalt lit. C). Da sich sämtliche wesentlichen Sachverhaltselemente unter altem Recht zugetragen haben, ist der vorliegende Sachverhalt insgesamt nach dem Recht zu beurteilen, wie es bis Ende 2008 in Kraft war.

1.2 Verfahrensrecht

[2] Seit dem 1. Januar 2009 ergehen die Entscheide der Übernahmekommission in der Form von Verfügungen (Art. 33a Abs. 1 BEHG; Art. 3 Abs. 2 UEV). Gemäss bundesgerichtlicher Recht­sprechung sind die verfahrensrechtlichen Bestimmungen unmittelbar nach deren Inkraftsetzung anzuwenden (vgl. dazu BGE 130 V 1, Erw. 3.2). Der vorliegende Entscheid ergeht daher in der Form einer Verfügung.

2. Weiterbestehen der Angebotspflicht nach Veräusserung der Beteiligung

[3] Im vorliegenden Fall ist die Angebotspflicht der Anbieterin 1 bereits mit dem Erwerb von Beteiligungspapieren mit mehr als 331/3% der Stimmrechte an der Zielgesellschaft entstanden, nicht erst mit der veröffentlichung der Voranmeldung. Insofern handelt es sich beim Angebot der Anbieterin 1 um ein Pflichtangebot (vgl. Art. 32 Abs. 1 BEHG).

[4] Grundsätzlich kann sich ein Anbieter einer einmal entstandenen Angebotspflicht insbesondere bei einem Pflichtangebot nicht dadurch entziehen, dass er die entsprechenden Beteiligungspapiere weiterveräussert (vgl. Empfehlung III vom 28. Juni 2007 in Sachen GNI Global Net International AG, Erw. 2.2). Auch ein allfälliges Angebot eines Erwerbers der Beteiligung lässt diese Pflicht nicht erlöschen. Die Pflicht der Anbieterin 1, ein öffentliches Angebot auf alle sich im Publikum befindenden sia-Namenaktien zu lancieren besteht damit grundsätzlich nach wie vor. In Empfehlung III (Erw.10) hat die Übernahmekommission festgehalten, dass nach dem ordnungsgemässen Vollzug des Angebots von Scintilla über das Schicksal des Angebots 1 zu entscheiden ist.

3. Ordnungsgemässer Vollzug des Angebots von Scintilla

[5] In Empfehlung III hat die Übernahmekommission die Prüfstelle angewiesen, den ordnungsgemässen Vollzug des Angebots der Scintilla innert zwei Wochen nach dessen Abwicklung gegenüber der Übernahmekommission zu bestätigen (vgl. Sachverhalt lit. D). Basierend auf den getätigten Prüfungshandlungen gelangte die Prüfstelle auf keine Sachverhalte, aus denen sie hätte schliessen müssen, dass das zustande gekommene Angebot nicht ordnungsgemäss abgewickelt worden wäre. Gestützt auf diesen Zwischenbericht steht für die Übernahmekommission fest, dass das Angebot ordnungsgemäss vollzogen wurde.

4. Befreiung von der Pflicht zur Publikation eines Angebots

[6] Da sich nach Ablauf der Nachfrist des Angebots von Scintilla nach wie vor noch 0.4% aller sia-Namenaktien im Publikum befinden, stellt sich die Frage, ob BDS aufgrund ihrer Voranmeldung weiterhin verpflichtet ist, ein Angebot auf diese noch verbleibenden Aktien zu veröffentlichen. Für die verbleibenden 0.4% der sia-Namenaktien wird Scintilla gemäss eigenen Angaben das Kraft­loserklärungsverfahren gemäss Art. 33 Abs. 1 BEHG einleiten. Damit hat sie die Möglichkeit, über 100% der sia-Na­men­aktien zu verfügen.

[7] Werden nach einer Übernahme die verbleibenden Aktien einer kotierten Gesellschaft für kraftlos erklärt, so verlieren deren Inhaber mit Eintritt der Rechtskraft ihre Stellung als Beteiligte der Gesellschaft und erwerben statt dessen einen Anspruch auf Auszahlung des Angebotspreises (vgl. dazu auch BSK-BEHG-Rampini/Reiter, Art. 33 N 20). Die für kraftlos erklärten Beteiligungspapiere werden neu ausgegeben und dem Anbieter übergeben (vgl. Art. 33 Abs. 2 BEHG).

[8] Damit wäre es jedoch unverhältnismässig, von einem Anbieter zu verlangen, ein Angebot auf Beteiligungspapiere zu lancieren, die ihm keine Stellung als Beteiligter der Gesellschaft mehr verschaffen. Der Anbieter würde mit seinem Angebot letztendlich nur einen Anspruch auf Auszahlung des Angebotspreises des vorangegangenen Angebots erwerben. Ebenso wenig wäre den noch verbleibenden Publikumsaktionären gedient. Diese müssten unter Umständen damit rechnen, Beteiligungspapiere anzudienen, die bei einem allfälligen Vollzug dieses Angebots bereits für kraftlos erklärt worden sein könnten. Nicht zuletzt würde sich in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob solche Beteiligungspapiere überhaupt noch angedient werden könnten oder dürften und ob ein Anbieter verpflichtet werden könnte, solche Beteiligungspapiere überhaupt anzunehmen. Eine Pflicht von BDS zur Veröffentlichung eines Angebots auf alle noch im Publikum verbleibenden sia-Namenaktien ist demzufolge unverhältnismässig. BDS wird daher von dieser Pflicht befreit.

[9] Damit erübrigt sich auch die Frage, ob ein Angebot grundsätzlich widerrufen werden kann, wie dies die Anbieterin 1 in ihrem Gesuch vom 17. November 2008 beantragt (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit eines Widerrufs Empfehlung III vom 18. November 2008 in Sachen sia Abrasives Holding AG, Erw. 10 sowie Empfehlung II vom 11. Juni 2003 in Sachen Centerpulse AG, Erw. 4.4).

5. Veröffentlichung der Befreiung von der Pflicht zur Publikation eines Angebots

[10] Scintilla hat am 15. Januar 2009 in den elektronischen und am 21. Januar 2009 in den Printmedien das definitive Zwischenergebnis ihres Angebots veröffentlicht. Darin hat sie angegeben, dass sie über eine Beteiligung von 99.6% der Aktien resp. Stimmrechte an sia verfügt und dass sie die restlichen sia-Namenaktien dekotieren und für kraftlos erklären wird. Damit ist dem Markt das Schicksal der verbleibenden sia-Namenaktien in genügender Weise kommuniziert worden. Eine Publikation der Aufhebung der Pflicht zur Publikation eines Angebots von BDS erscheint daher vorliegend nicht mehr notwendig.

6. Publikation

[11] Die vorliegende Verfügung wird nach Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

7. Gebühr

[12] In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK wird für die Prüfung des vorliegenden Gesuchs der Anbietergruppe bestehend aus der Behr Deflandre & Snozzi BDS AG, der Behr Bircher Cellpack BBC Industrie-Holding AG und Herrn Prof. Dr. Giorgio Behr eine Gebühr von CHF 15'000 erhoben, unter solidarischer Haftung.


Die Übernahmekommission verfügt:
 

  1. Die Anbietergruppe bestehend aus der Behr Deflandre & Snozzi BDS AG, der Behr Bircher Cellpack BBC Industrie-Holding AG und Herrn Prof. Dr. Giorgio Behr wird von der Pflicht befreit, ihr am 26. August 2008 vorangemeldetes Angebot auf alle sich im Publikum befindenden Namenaktien der sia Abrasives Holding AG zu veröffentlichen. 

  2. Die vorliegende Verfügung wird nach Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

  3. Die Gebühr zu Lasten der Anbietergruppe bestehend aus der Behr Deflandre & Snozzi BDS AG, der Behr Bircher Cellpack BBC Industrie-Holding AG und Herrn Prof. Dr. Giorgio Behr beträgt CHF 15'000, unter solidarischer Haftung.

 

Der Präsident:

Luc Thévenoz

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diese Verfügung kann innerhalb von fünf Börsentagen Beschwerde bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA), Schwanengasse 2, CH - 3003 Bern erhoben werden. Die Frist beginnt am ersten Börsentag nach Eröffnung der Verfügung per Telefax oder auf elektronischem Weg zu laufen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 33c Abs. 2 BEHG und Art. 52 VwVG zu genügen.

Diese Verfügung geht an die Parteien:

  • sia Abrasives Holding AG (vertreten durch Schellenberg Wittmer Rechtsanwälte, Dr. Martin Weber)
  • Behr Deflandre & Snozzi BDS AG (vertreten durch Bär & Karrer AG, Dr. Dieter Dubs)
  • Scintilla AG (vertreten durch Dr. Heinz Schärer, Homburger AG)

Diese Verfügung geht zur Kenntnisnahme an:

  • Ernst & Young AG (Prüfstelle)