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Transaktionen

0858 - VT5 Acquisition Company AG

Verfügung 858/01 vom 1. November 2023

Gesuch der VT5 Acquisition Company AG betreffend das Nichtbestehen einer Angebotspflicht und eventualiter die Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht betreffend die VT5 Acquisition Company AG

A.
VT5 Acquisition Company AG (VT5, [Ziel-]Gesellschaft oder Gesuchstellerin) ist eine Aktiengesellschaft, mit Sitz in Freienbach, Schwyz, Schweiz, welche am 2. März 2021 unter der Firmennummer CHE-499.708.558 im Handelsregister des Kantons Schwyz eingetragen wurde.

B.
Bei der VT5 handelt es sich um eine sog. Special Purpose Acquisition Company (die SPAC), d.h. um eine von mehreren Gründern und einem Sponsor zum Zweck einer Akquisition errichtete Mantelgesellschaft oder Unternehmenshülle ohne operative Tätigkeit, welche Kapital über einen Börsengang (sog. Initial Public Offering, das IPO) einsammeln und dieses sodann in die Übernahme einer (vorher nicht fest bestimmten) operativen Drittgesellschaft (das Akquisitionsobjekt; die Akquisition wird gemeinhin als sog. Initial Business Combination, die IBC, bezeichnet) investieren soll (vgl. hierzu Verfügung 782/01 vom 19. März 2021 in Sachen VT5 Acquisition Company AG [Verfügung 782/01]). Die wesentlichen Elemente der (vorliegenden) SPAC lassen sich überblicksartig wie folgt darstellen:

    •  

Die Gründer und der Sponsor leisten das Risikokapital (ohne Rückgaberecht), um das IPO und die Suche nach dem Akquisitionsobjekt zu finanzieren.

    •  

Die SPAC wird an der Börse kotiert, wobei die IPO-Kapitaleinlage der Aktionäre gemäss dem statutarischen Zweck der SPAC nur für die IBC verwendet werden darf und auf einem Treuhandkonto (nachfolgend Escrow-Konto) blockiert wird.

    •  

Jedem Aktionär wird vor einer Akquisition ein Rückgaberecht im Rahmen eines Rückkaufangebots (das [SPAC-]Rückkaufangebot) unter Rückzahlung des Ausgabepreises (abzüglich / zuzüglich [negativer] Zinsen, Steuern und weiterer Kosten für das Escrow-Konto bzw. die allfällige Liquidation der SPAC) gewährt.

    •  

Die Akquisition erfordert die Zustimmung der Generalversammlung der SPAC u.a. zur (i) IBC und (ii) Kapitalherabsetzung im Umfang der ausgeübten Rückgaberechte im (SPAC- )Rückkaufangebot.

    •  

Erfolgt keine Akquisition innert der statutarischen Gesellschaftsdauer (von zwei bis drei Jahren) wird die SPAC aufgelöst und die Aktionäre erhalten den Ausgabepreis (abzüglich / zuzüglich [negativer] Zinsen, Steuern und weiterer Kosten für das Escrow-Konto bzw. die allfällige Liquidation der SPAC) zurück.


C.
Gemäss ihren Statuten bezweckt die Gesellschaft die «Suche nach Möglichkeiten, Mittelaufnahme für, Prüfung, Verhandlung, Abschluss und Vollzug, eines direkten oder indirekten Erwerbs einer oder (falls gleichzeitig) mehrerer operativer Gesellschaften oder Unternehmen mit einem gesamten Unternehmenswert von mindestens CHF 100 Millionen, sei es durch Asset-Deal, Share-Deal, Fusion, Quasi-Fusion oder in sonstiger Weise, mit Schwerpunkt im Technologiebereich. Nach Vollzug dieses Erwerbs ist der Zweck der Gesellschaft auch: 1. Betrieb eines Unternehmens im Technologiebereich und das Halten von Unternehmen in diesem Technologiebereich in einem Konzern unter einheitlicher Leitung, 2. Erwerb, Verwaltung, Übertragung und Veräusserung von Patenten, Handelsmarken und technischen und industriellen Kenntnissen sowie Grundstücken im In- und Ausland, 3. Beteiligung an anderen Unternehmen im In- und Ausland, 4. Errichtung von Zweigniederlassungen und Gründung von Tochtergesellschaften, 5. Tätigen aller übrigen Geschäfte, welche die vorgenannten Zwecke unmittelbar oder mittelbar fördern.» (Ziff. 1.2 der Statuten von VT5).

D.
VT5 verfügt über ein Aktienkapital von CHF 2'352'941.30, eingeteilt in 1'764'706 Namenaktienaktien mit einem Nennwert von je CHF 0.10 (die Gründeraktien bzw. die Stammaktien) und in 21'764'706 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 0.10 (die A-Aktien bzw. die Vorzugsaktien) (die Stamm- und die Vorzugsaktien, nachfolgend zusammen die VT5-Aktien, von denen insgesamt 23'529'412 ausstehend sind) (Ziff. 3.1 der Statuten von VT5).

Der Verwaltungsrat ist ermächtigt, das Aktienkapital jederzeit bis zum 14. Dezember 2023 im Maximalbetrag von CHF 1'176'470.60 durch Ausgabe von höchstens 11'764'706 vollständig zu liberierenden Gründeraktien bzw. durch Ausgabe von höchstens 11'764'706 vollständig zu liberierenden A-Aktien zu erhöhen (sog. genehmigtes Aktienkapital; Ziff. 3.1.1 der Statuten von VT5).

Das Aktienkapital wird unter Ausschluss der Bezugsrechte der Aktionäre durch Ausgabe von höchstens 11'764'706 voll zu liberierenden A-Aktien um den Maximalbetrag von CHF 1'176'470.60 erhöht durch die Ausübung oder Zwangsausübung von Wandel-, Tausch-, Options-, Bezugs- oder ähnlichen Rechten auf den Bezug von Aktien, welche Aktionären oder Dritten allein oder in Verbindung mit Anleihensobligationen, Darlehen, Optionen, Warrants oder anderen Finanzinstrumenten oder vertraglichen Verpflichtungen der Gesellschaft oder einer ihrer Tochtergesellschaften eingeräumt werden (sog. bedingtes Aktienkapital für Finanzierung, Akquisitionen und andere Zwecke; Ziff. 3.1.2 der Statuten von VT5).

E.
Die A-Aktien sind seit dem 15. Dezember 2021 an der SIX Swiss Exchange (SIX) im regulatorischen sog. Standard for SPACs (primär-)kotiert (ISIN: CH1107979838; Valorennummer: 110797983; Valorensymbol: VT5).

Die Statuten der VT5 enthalten eine vor dem IPO und der Kotierung der Beteiligungspapiere der VT5 eingeführte, doppelt selektive Opting out-Klausel zu Gunsten der Zielgesellschaft (Ziff. 3.5 der Statuten von VT5), wie folgt:

„Überschreitet die Gesellschaft bei Einräumung des Rückverkaufsrechts die Schwellenwerte von Artikel 135 oder 163 des Bundesgesetzes über die Finanzmarktinfrastrukturen und das Marktverhalten im Effekten- und Derivatehandel (Finanzmarktinfrastrukturgesetz) ist sie nicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Angebots verpflichtet.“

F.
Gemäss Offenlegung im Geschäftsbericht sowie bei der SIX halten nach Angaben der VT5 die folgende Personen bedeutende Beteiligungen am Aktienkapital der VT5 (Stand: 10. Oktober 2023):

    •  

Veraison SICAV, Zürich, Schweiz, und weitere Gründer halten 15% aller VT5-Aktien bzw. 3'529'412 VT5-Aktien (je 1'764'706 Vorzugs- und 1'764'706 Stammaktien);

    •  

UBS Fund Management (Switzerland) AG hält 8.94% aller VT5-Aktien bzw. 2'103'002 Vorzugsaktien;

    •  

Artemis Beteiligungen I AG hält 8.5% aller VT5-Aktien bzw. 2'000'001 Vorzugsaktien;

    •  

Point Break Capital LP hält 8.5% aller VT5-Aktien bzw. 2'000'001 Vorzugsaktien;

    •  

Veraison SICAV - Engagement Fund hält 8.5% aller VT5-Aktien bzw. 2'000'001 Vorzugsaktien;

    •  

LLB Swiss Investment AG hält 6.67% aller VT5-Aktien bzw. 1'570'004 Vorzugsaktien.

Vgl. zum Ganzen auch die über die elektronische Veröffentlichungsplattform der Offenlegungsstelle der SIX erfassten (neuesten) Offenlegungsmeldungen (https://www.ser-ag.com/de/topics/disclosure-of-shareholdings.html; zuletzt abgerufen am 31. Oktober 2023).

G.
Mit Verfügung 782/01 gewährte die Übernahmekommission der VT5 — mit Blick auf das für jede SPAC zentrale Element eines (SPAC-)Rückkaufangebots (vgl. Sachverhalt Bst. B) — alle von der VT5 beantragten Ausnahmen zum UEK-Rundschreiben Nr. 1: Rückkaufprogramme vom 27. Juni 2013 (das UEK-RS Nr. 1) und unterstellte ein allfälliges (SPAC-)Rückkaufangebot der VT5 dem UEK-RS Nr. 1.

H.
Am 2. Oktober 2023 veröffentlichte VT5 eine Ad hoc-Mitteilung im Sinne von Art. 53 des Kotierungsreglements der SIX (abrufbar über die Website von VT5 unter dem Link https://www.vt5.ch/; zuletzt abgerufen am 31. Oktober 2023) und gab den möglichen Unternehmenszusammenschluss mit der R&S Gruppe mit Hauptsitz in Sissach, Basel Landschaft— einem Anbieter von elektrischen Infrastrukturkomponenten in der Schweiz und auf internationalen Märkten — bekannt (konkret erwägt VT5, alle ausstehenden Aktien der R&S International Holding AG zu kaufen).

In der Ad hoc-Mitteilung wurde weiter erklärt, dass VT5 exklusive Verhandlungen über den möglichen Unternehmenszusammenschluss mit der R&S Gruppe aufgenommen habe und dass der Abschluss verbindlicher Vereinbarungen und ein Vollzug dieser Transaktion (insbesondere der damit einhergehende Erwerb des Akquisitionsobjekts, d.h. die IBC) grundsätzlich bis Ende 2023 angestrebt werde (nachfolgend die De-SPAC-Transaktion) (vgl. zur im Zusammenhang mit SPACs verwendeten Terminologie die Ausführungen auf der Website der SIX unter https://www.six-group.com/de/products-services/the-swiss-stock-exchange/listing/equities/ipo/spac.html sowie in der Richtlinie betr. Kotierung von SPACs der SIX; zuletzt abgerufen am 31. Oktober 2023).

I.
Am 10. Oktober 2023 reichte VT5 ein Gesuch bei der Übernahmekommission ein (das Gesuch).

Im Rahmen des Gesuchs erklärte VT5 u.a., dass

a)

 

 

die De-SPAC-Transaktion zeitnah angedacht sei und es für deren Abwicklung einer Investorenversammlung bedürfe, an welcher eine Mehrheit der Inhaber der Vorzugsaktien einer entsprechenden Akquisition zustimme (Ziff. 2 der Statuten von VT5),

b)

 

 

im Zusammenhang mit und in Abhängigkeit von der Zustimmung zur De-SPAC Transaktion den Aktionären der VT5 das Recht eingeräumt werde, ihre Vorzugsaktien an die Gesellschaft zurück zu verkaufen (das Rückverkaufsrecht),

c)

 

 

 

VT5 beabsichtige, mit bedeutenden Aktionären zwecks Schaffung von Transaktionssicherheit und Erhöhung der Verwirklichungswahrscheinlichkeit je Einzelverträge über die Unterstützung der Akquisition abzuschliessen (der oder die Commitment Letter), in deren Rahmen sich die bedeutenden Aktionäre verpflichten

 

i.

zur Aufrechterhaltung ihrer Investition (d.h. Nicht-Ausübung des Rückverkaufsrechts für ihre Aktien), und ggf. zum Erwerb weiterer Aktien,

 

ii.

zur Genehmigung der De-SPAC-Transaktion an der Investorenversammlung sowie

 

iii.

 

 

 

 

zur Annahme an der Generalversammlung der für die Umsetzung der De-SPAC-Transaktion notwendigen Beschlüsse (die notwendigen Beschlüsse wiederum umfassen: 1. eine Kapitalerhöhung im nötigen Umfang, 2. eine Kapitalherabsetzung und den entsprechenden Rückkauf im vom Verwaltungsrat beantragten Umfang, um so das (SPAC-)Rückkaufangebot vollziehen zu können, 3. die Wahl eines VR-Mitglieds, das vom Hauptaktionär der Verkäuferin [die teilweise beteiligt bleiben wird] ernennt wird, 4. die Einführung gewisser Minderheitenschutzrechte [wie z.B. die Erschwerung der Dekotierung] sowie 5. die Umwandlung von Vorzugsaktien in Stammaktien]),

d)

 

 

 

 

 

 

 

 

die Commitment Letter nach dem De-SPAC oder auch bei Ablehnung desselben ihre Funktion erfüllt haben und die Parteien nicht mehr binden und der Angebots- und Kotierungsprospekt (der gleichzeitig das Informationsdokument gemäss Art. 5 der Richtlinie betr. Kotierung von SPACs der SIX ist) die bedeutenden Aktionäre vor und, soweit bekannt, nach dem De-SPAC ausweisen werden (daraus werde den Aktionären bekannt sein, wer welchen Einfluss auf VT5 nach der De-SPAC-Transaktion haben werde, lediglich zu bedeutenden Aktionären, die sich nicht vorab entscheiden könnten oder wollten, ob sie dabei bleiben wollen oder nicht sowie etwaigen neuen Investoren, die zu bedeutenden Aktionären werden, mit denen aus welchen Gründen auch immer kein vorgängiges Commitment geschlossen werden könne, fehle diese Information naturgemäss, wobei die Erfahrung allerdings zeige, dass im Wesentlichen bereits bei der Prospektpublikation bekannt sein werde, welche Aktionäre nach der De-SPAC-Transaktion welche Beteiligung haben werden).

 

VT5 stellte vor diesem Hintergrund gegenüber der Übernahmekommission folgende Anträge:

 

„1. Es sei festzustellen, dass die Unterzeichnung von Commitment Lettern durch Aktionäre der VT5 mit der VT5, welche diese jeweils dazu verpflichten im Rahmen der geplanten De-SPAC Transaktion i) ihre Investition aufrecht erhalten und ggf. weitere Aktien zu zeichnen; ii) an der Investorenversammlung für die Transaktion zu stimmen; iii) sowie an der Generalversammlung für die Transaktion notwendigen Beschlüsse zu stimmen, selbst bei Überschreiten des Grenzwertes von 33 1/3%, nicht zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe führt;

 

2. Eventualiter sei eine Ausnahme von der Angebotspflicht nach Art. 136 FinfraG i.V.m. Art. 41 Abs. 1 FinfraV-FINMA durch die UEK zu gewähren, im Zusammenhang mit der beabsichtigten Unterzeichnung von Commitment Lettern durch Aktionäre der VT5 mit der VT5, welche diese jeweils dazu verpflichten im Rahmen der geplanten De-SPAC Transaktion i) ihre Investition aufrecht erhalten und ggf. weitere Aktien zu zeichnen; ii) an der Investorenversammlung für die Transaktion zu stimmen; iii) sowie an der Generalversammlung für die Transaktion notwendigen Beschlüsse zu stimmen.“

(nachfolgend je einzeln der Hauptantrag, Ziff. 1 und der Eventualantrag, Ziff. 2 sowie zusammen die Anträge).

Auf die Begründung der Anträge wird, soweit erforderlich, in den Erwägungen eingegangen.

J.
Am 26. Oktober 2023 bestätigte VT5 gegenüber der Übernahmekommission, dass sie keine (weitere) Stellungnahme zum Gesuch im Sinne von Art. 61 Abs. 1bis UEV oder Art. 61 Abs. 3 Bst. a UEV abzugeben gedenke.

K.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus der Präsidentin Mirjam Eggen, Jean-Luc Chenaux und Isabelle Chabloz gebildet.

Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1.  Feststellungsinteresse

1.1 Rechtliches

[1] Für Verfahren vor der UEK gelten unter Vorbehalt der Bestimmungen gemäss Art. 139 Abs. 2 – 5 FinfraG die Normen des VwVG (Art. 139 Abs. 1 FinfraG). Nach Art. 25 Abs. 1 VwVG kann über den Bestand, den Nichtbestand oder den Umfang öffentlich-rechtlicher Rechte oder Pflichten auf Begehren eine Feststellungsverfügung erlassen werden. Einem Begehren um Erlass einer solchen Verfügung ist gemäss Art. 25 Abs. 2 VwVG zu entsprechen, wenn der Gesuchsteller ein schutzwürdiges Interesse daran nachweist. Gemäss Praxis ist ein übernahmerechtliches Feststellungsinteresse gegeben, wenn für den Gesuchsteller eine direkte und aktuelle Unklarheit über die Rechtslage besteht, die mittels einer Feststellungsverfügung geklärt werden kann (Verfügung 849/02 vom 15. August 2023 in Sachen Schaffner Holding AG, Erw. 1, Rn 1; Verfügung 844/01 vom 21. April 2023 in Sachen GAM Holding AG, Erw. 1, Rn 1; Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group SA, Erw. 1, Rn 1).

1.2 Ausführungen der Gesuchstellerin

[2] Mit Blick auf das Feststellungsinteresse erklärt die Gesuchstellerin in ihrem Gesuch, dass sich die Aktionäre, die einen Commitment Letter unterzeichnen, untereinander nicht abstimmen würden und somit ihres Erachtens keine Gruppenbildung vorliege. Allerdings sei unsicher — so die Gesuchstellerin weiter —, ob bei der Abstimmung über einen Dritten (hier der VT5) immer noch davon ausgegangen werden könne, dass keine Gruppenbildung vorliege oder ob diesfalls bei Überschreitung der Angebotsschwelle nicht doch eine Angebotspflicht entstehe. Eine Überschreitung der Angebotsschwelle stehe zwar nicht fest, sei aber sehr wohl möglich, denn das Ziel sei, möglichst viele Commitments einzuholen. Daher sei VT5 auf die Feststellung des Nichtbestehens der Angebotspflicht, eventualiter auf die Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht angewiesen.

1.3 Erwägungen der Übernahmekommission und Fazit

[3] Vor dem Hintergrund der Einzelverträge über die Zustimmung zur Akquisition, welche VT5 mit bedeutenden Aktionären zwecks Schaffung von Transaktionssicherheit und Erhöhung der Verwirklichungswahrscheinlichkeit abzuschliessen gedenkt (vgl. Sachverhalt, Bst. I), hat die Gesuchstellerin im vorliegenden Fall ein schutzwürdiges, direktes und aktuelles Interesse, eine mögliche Unsicherheit mit Blick die Angebotspflicht mittels Feststellungsverfügung zu klären. Gleich verhält es sich mit Blick auf ihr Interesse an der Gewährung einer allfällig notwendigen Ausnahme von der Angebotspflicht. Auf das Gesuch wird somit eingetreten.

2.  Handeln in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe im Sinne der Angebotspflicht nach Art. 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA (Hauptantrag, Ziff. 1)

2.1 Hauptantrag, Ziff. 1

[4] Im Rahmen ihres Hauptantrags, Ziff. 1 ersucht die Gesuchstellerin um Feststellung, dass die Unterzeichnung von Commitment Lettern selbst bei Überschreiten des Grenzwertes von 33⅓% nicht zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe führt (vgl. Sachverhalt Bst. I).

2.2 Rechtliches

[5] Nach Art. 135 Abs. 1 Satz 1 FinfraG muss diejenige Person, welche direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt und damit zusammen mit den Beteiligungspapieren, die sie bereits besitzt, den Grenzwert von 33⅓% der Stimmrechte einer Zielgesellschaft überschreitet, ob ausübbar oder nicht, ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Zielgesellschaft unterbreiten.

[6] Die Angebotspflicht nach Art. 135 Abs. 1 Satz 1 FinfraG (inkl. Mindestpreisvorschriften) findet keine Anwendung, (i) wenn die Angebotspflicht aufgrund einer gültigen Opting out- oder Opting up-Klausel in den Statuten der Zielgesellschaft gar nicht erst entsteht (Art. 125 Abs. 3 und 4 FinfraG sowie Art. 135 Abs. 1 letzter Satz FinfraG) oder (ii) wenn die Angebotspflicht aufgrund einer automatischen (Art. 136 Abs. 2 FinfraG und Art. 40 Abs. 1 Bst. a und b FinfraV-FINMA) oder einer auf Gesuch hin gewährten Ausnahme (Art. 136 Abs. 1 Bst. a bis e und Art. 41 FinfraV-FINMA) dahinfällt (vgl. mit Blick auf die Ausnahmen von der Angebotspflicht die Ausführungen in Erw. 3 unten).

[7] Art. 33 FinfraV-FINMA hält fest, dass für Personen, die der Angebotspflicht unterliegende Beteiligungen der Zielgesellschaft (vgl. Art. 135 Abs. 1 FinfraG) im Hinblick auf die Beherrschung der Zielgesellschaft in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe erwerben, Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA gilt. Nach Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA handelt in gemeinsamer Absprache oder als organisierte Gruppe, wer seine Verhaltensweise im Hinblick auf den Erwerb oder die Veräusserung von Beteiligungspapieren oder die Ausübung von Stimmrechten mit Dritten durch Vertrag oder andere organisierte Vorkehren oder von Gesetzes wegen abstimmt.

[8] Ein Handeln in gemeinsamer Absprache bzw. eine organisierte Gruppe i.S.v. Art. 33 FinfraV-FINMA wird angenommen, wenn der gemeinsame Erwerb von Aktien eine Beherrschung objektiv ermöglicht und auf Grund der Umstände darauf zu schliessen ist, dass eine Beherrschung auch angestrebt wird (BGE 130 II 530 ff., Erw. 6.5.7; vgl. ebenfalls die Verfügung 672/01 in Sachen SHL Telemedicine Ltd. vom 26. Januar 2018, Rn 28 bezüglich dem zitierten BGE und die Rn 29 – 31 zur weitergehenden Praxis zu Art. 33 FinfraV-FINMA sowie zuletzt die Verfügung 825/01 vom 27. Juli 2022 in Sachen MCH Group AG, Erw. 2.1, Rn 6, m.w.H.).

2.3 Ausführungen der Gesuchstellerin

[9] Mit Blick auf ihren Hauptantrag, Ziff. 1 führt die Gesuchstellerin aus, dass die bedeutenden Aktionäre ihre Verpflichtung nur gegenüber der VT5 eingehen und sich untereinander nicht abstimmen, womit sie vorliegend keine angebotspflichtige Gruppe i.S.v. Art. 135 Abs. 1 FinfraG bilden. Des Weiteren erklärt die Gesuchstellerin, dass die Pflicht, keine Aktien zurück zu verkaufen und ggf. weitere Aktien zu erwerben mangels Kontrolle inhaltlicher Aspekte der Gesellschaft nicht zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe führen kann. Schliesslich weist die Gesuchstellerin darauf hin, dass die Stimmverhaltenspflicht der bedeutenden Aktionäre nur dazu dient, die Investitionspflicht zu erhalten und es möglich sein muss, solche Nebenpflichten, die an sich bereits in der Investitionspflicht mitenthalten sind, ausdrücklich zu vereinbaren, ohne dass eine angebotspflichtige Gruppe entsteht.

2.4 Erwägungen der Übernahmekommission und Fazit

[10] Die Opting out-Klausel in den Statuten von VT5 (vgl. Sachverhalt Bst. E) gilt nur für die Zielgesellschaft und findet keine Anwendung mit Blick auf diejenigen Aktionäre der VT5, welche Commitment Letter unterzeichnen. Eine mögliche Angebotspflicht zu Lasten der Gruppe der genannten Aktionäre der VT5 ist somit nicht von vornherein ausgeschlossen.

[11] Im Folgenden soll deshalb geprüft werden, ob die Unterzeichnung der Commitment Letter durch Aktionäre der VT5, bei Überschreiten des Grenzwertes von 33⅓% der Stimmrechte der Zielgesellschaft (vgl. Art. 135 Abs. 1 FinfraG), zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe i.S.v. nach Art. 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA führt (d.h. Prüfung der Tatbestandsmerkmale der angebotspflichtigen Gruppe).

2.4.1 Abstimmung der Verhaltensweise durch Vertrag

[12] Mit Blick auf das Vorliegen einer gemeinsamen Absprache bzw. einer organisierten Gruppe im Sinne der Generalklausel des Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA wird zunächst verlangt, dass eine Abstimmung der Verhaltensweise gegeben sein muss. Grundlage der Verhaltensabstimmung kann gemäss Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA der Abschluss eines Vertrags

[13] Für die Abstimmung der Verhaltensweise bedarf es mit anderen Worten einer Einigung der an der Abstimmung Beteiligten auf Basis eines Minimums an Kontakt in irgendeiner Form bzw. einer minimalen gegenseitigen Kommunikation in Bezug auf ein bestimmtes koordiniertes Vorgehen hinsichtlich der Zielgesellschaft. Die Art, Intensität und Dauer des Kontakts bzw. der Kommunikation ist nicht ausschlaggebend und spielt grundsätzlich keine Rolle, weswegen die gegenseitige Kommunikation zwischen den an der Abstimmung Beteiligten auch über einen Vermittler bzw. einen Mittelsmann erfolgen kann, sofern die Beteiligten um dessen Scharnierfunktion wissen oder wissen müssten. Eine direkte Kommunikation sämtlicher Gruppenmitglieder unter- oder die (persönliche) Kenntnis voneinander ist dementsprechend nicht notwendig (vgl. zum Ganzen Sonja Blaas, Entstehung und Nachweis der angebotspflichtigen Gruppe, Diss. Bern 2016, Rn 370 ff.; Georg Gotschev, Koordiniertes Aktionärsverhalten im Börsenrecht, Diss. Zürich 2005, Rn. 380 und 411).

[14] Im vorliegenden Fall gedenkt VT5, mit (bedeutenden) Aktionären zwecks Schaffung von Transaktionssicherheit und Erhöhung der Verwirklichungswahrscheinlichkeit je Einzelverträge, die sog. Commitment Letter, über die Unterstützung der Akquisition abzuschliessen (vgl. zu deren konkreten Inhalten Sachverhalt Bst. I und übernimmt damit die hiervor skizzierte Rolle als Vermittler bzw. Mittelsmann, über welchen die vom Art. 12 Abs 1. FinfraV-FINMA vorausgesetzte vertragliche Verhaltensabstimmung der entsprechenden Aktionäre erzielt wird. Angesichts der konkreten Beteiligungsverhältnisse an der VT5 (vgl. dazu Sachverhalt Bst. F) und deren Eigenart als SPAC muss diesen Aktionären klar sein, dass VT5 auch mit den anderen grösseren Aktionären gleichgerichtete Commitment Letter eingeht und die Stimmabgaben etc. der Beteiligten im Hinblick auf die Zielgesellschaft koordiniert.

[15] Der Abschluss der Commitment Letter ist daher als Abstimmung der Verhaltensweise durch Vertrag zu qualifizieren.

2.4.2 Abstimmungsgegenstand

[16] Unter den Tatbestand der angebotspflichtigen Gruppe fallen u.a. Verhaltensabstimmungen, welche die Abstimmungsgegenstände des Erwerbs von Aktien oder der Ausübung von Stimmrechten an der Zielgesellschaft zum Gegenstand haben (Art. 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA sowie Art. 135 Abs. 1 FinfraG).

[17] Um das Tatbestandselement des Erwerbs zu erfüllen, müssen sich die Beteiligten darauf einigen, gemeinsam Aktien an der Zielgesellschaft zu erwerben. Der Einfluss auf die Geschicke der Zielgesellschaft kann sodann auch mittels Koordination bereits gehaltener Stimmrechte (bspw. im Rahmen einer Stimmbindungsvereinbarung) konsolidiert werden; letztere Verhaltensabstimmung führt zu einem Stimmrechtszuwachs, der dem klassischen Erwerb gleichzustellen ist (vgl. Verfügung 448/01 vom 22. Juli 2010 in Sachen Genolier Swiss Medical Network SA, Erw. 1; Empfehlung 242/01 vom 3. Juni 2005 in Sachen Forbo Holding AG, Erw. 3.2 448/01 vom 22. Juli 2010, Erw. 1).

[18] Gemäss dem der Übernahmekommission im Entwurf vorliegenden Commitment Letter sollen sich die Aktionäre grundsätzlich sowohl auf den Erwerb weiterer Aktien der Zielgesellschaft verpflichten (Ziff. 1 des Commitment Letter) als auch mit sämtlichen bereits gehaltenen Stimmrechten die De-SPAC-Transaktion an der Investorenversammlung genehmigen sowie allen für die Umsetzung der De-SPAC-Transaktion notwendigen Beschlüssen (d.h. Kapitalerhöhung, Kapitalherabsetzung und Aktienrückkauf, Wahl eines bestimmten VR-Mitglieds, Einführung gewisser Minderheitenschutzrechte, Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien) an der Generalversammlung zustimmen.

[19] Die entsprechenden Aktionäre stimmen damit vorliegend ihre Verhaltensweise sowohl im Hinblick auf den Erwerb als auch im Hinblick auf die Ausübung von Stimmrechten ab.

2.4.3 Beherrschungskontext

[20] Für das Entstehen einer angebotspflichtigen Gruppe im Sinne von 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA ist schliesslich auch entscheidend, dass die Absprache im Hinblick auf die Beherrschung erfolgt (Art. 33 FinfraV-FINMA). Die Verhaltensabstimmung muss den Beteiligten mit anderen Worten die Möglichkeit geben, einen beherrschenden Einfluss auf die Zielgesellschaft auszuüben, was grundsätzlich dann der Fall ist, wenn der entsprechende Abstimmungsgegenstand kontrollrelevante Gegenstände betrifft. Hierfür sind jeweils die gesamten Umstände und Abreden zu würdigen. Gewichtige Elemente einer Beherrschung sind gemäss der Praxis der Übernahmekommission etwa Abreden über die Ausübung des Stimmrechts, Absprachen über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats sowie die gemeinsame Festlegung einer Strategie für die Zielgesellschaft (Verfügung 439/01 vom 11. März 2010 in Sachen Siegfried Holding AG, Erw. 1, Rn 1).

[21] Die Absprache der Aktionäre, an der Generalversammlung allen für die Umsetzung der De-SPAC-Transaktion notwendigen Beschlüssen (d.h. Kapitalerhöhung, Kapitalherabsetzung und Aktienrückkauf, Wahl eines bestimmten VR-Mitglieds, Einführung gewisser Minderheitenschutzrechte, Umwandlung von Vorzugs- in Stammaktien) zuzustimmen, stellt eine Einigung über die künftige Strategie der Zielgesellschaft dar (d.h. Koordination zu Unternehmenszusammenschluss mit der R&S Gruppe).

[22] Damit kann festgestellt werden, dass sich die Verhaltensabstimmung in Bezug auf die De-SPAC-Transaktion auf eine Transaktion bezieht, welche für VT5 — wie bei jedem SPAC — von zentraler Bedeutung ist, da sie den Hauptzweck von VT5 betrifft, nämlich die statutarisch angestrebte Akquisition bzw. die Durchführung einer IBC (vgl. Sachverhalt Bst. B).

2.4.4 Fazit

[23] Unter Zugrundelegung obiger Ausführungen (vgl. Erw. 2.4.1 bis 2.4.3 hiervor) kann somit in Abweisung des Hauptantrags Ziff. 1 festgestellt werden, dass die Unterzeichnung der Commitment Letter durch Aktionäre der VT5 bei Überschreiten des Grenzwertes von 33⅓% zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe i.S.v. nach Art. 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA führt.

3.  Ausnahme von der Angebotspflicht gemäss Art. 136 Abs. 1 FinfraG i.V.m. Art. 41 Abs. 1 FinfraV-FINMA (Eventualantrag, Ziff. 2)

3.1 Eventualantrag, Ziff. 2

[24] Im Rahmen ihres Eventualantrags, Ziff. 2 ersucht die Gesuchstellerin im Zusammenhang mit der beabsichtigten Unterzeichnung von Commitment Lettern um Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht nach Art. 136 FinfraG i.V.m. Art. 41 Abs. 1 FinfraV-FINMA für die einen Commitment Letter unterzeichnenden Aktionäre (vgl. Sachverhalt Bst. I).

3.2 Rechtliches

[25] Die Angebotspflicht bezweckt den Schutz der Minderheitsaktionäre vor einem für sie nachteiligen Kontrollwechsel, indem diesen eine Ausstiegsmöglichkeit zu festgelegten Bedingungen gewährt wird (Verfügung des Übernahme- und Staatshaftungsausschusses der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 6. Dezember 2019 in Sachen Schmolz + Bickenbach AG, Rn 34).

[26] Die mit der Angebotspflicht verbundenen Konsequenzen sind einschneidend. Sie können unter gewissen, seltenen Umständen sachlich unerwünschte Folgen haben oder gar kontraproduktiv wirken. Für diese Fälle hat der Gesetzgeber einen Korrekturmechanismus mit einem grundsätzlich nicht abschliessenden Katalog von Ausnahmen von der Angebotspflicht statuiert (vgl. Art. 136 FinfraG sowie Art. 40 f. FinfraV-FINMA; Verfügung des Übernahme- und Staatshaftungsausschusses der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA vom 18. Mai 2021 in Sachen Swiss Steel Holding AG, Rn 27).

[27] Gemäss Art. 136 Abs. 1 FinfraG kann die Übernahmekommission in berechtigten Fällen auf Gesuch hin Ausnahmen von der Angebotspflicht gewähren. Hierzu zählen namentlich die in Bst. a bis e dieser Norm beispielhaft genannten Situationen. Nach Art. 41 Abs. 1 FinfraV-FINMA kann eine angebotspflichtige Person zudem in weiteren berechtigten Fällen aus wichtigen Gründen (und unter Beachtung der Grundziele des Schweizerischen Übernahmerechts [d.h. Transparenz, Gleichbehandlung, Lauterkeit], vgl. Art 1 Abs. 2 FinfraG und Art. 1 UEV; Verfügung 609/01 vom 14. Juli 2015 in Sachen SHL Telemedicine Ltd., Erw. 3.2, Rn 13) eine Ausnahme gewährt werden, wobei Abs. 2 Bst. a bis c dieser Norm ebenfalls eine beispielhafte Aufzählung („namentlich“) möglicher Situationen enthält. Mit der Gewährung von Ausnahmen können Auflagen verbunden werden; insbesondere können der erwerbenden Person Verpflichtungen für die Zukunft auferlegt werden (Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA).

3.3 Ausführungen der Gesuchstellerin

[28] Mit Blick auf ihren Eventualantrag, Ziff. 2 führt die Gesuchstellerin aus, dass es vorliegend wichtige Gründe gibt, um die angebotspflichtigen Personen von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots zu befreien: So würde sich die Informationslage der übrigen Aktionäre als Folge der Unterzeichnung der Commitment Letter verbessern (Stichworte: Post-Transaktions-Kontrollverhältnisse und Transparenz) und diese Aktionäre könnten sich so leichter für oder gegen die Transaktion entscheiden, wobei die grösseren Aktionäre aus der Unterzeichnung der Commitment Letter keinen Vorteil erlangten (Stichwort: Gleichbehandlung). Auch finde keine Absprache über das für die De-SPAC-Transaktion absolut Notwendige hinaus statt, weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht (Stichwort: Lauterkeit). Die Verpflichtung, für die De-SPAC-Transaktion zu stimmen, nehme VT5 nur deshalb in die Commitment Letter auf, weil sie verhindern wolle, dass die verpflichteten Aktionäre sich aus ihrer Verpflichtung zur Ablehnung des Rückkaufs und ggf. zur Zeichnung weiterer Aktien durch eine Ablehnung der Transaktion an der Generalversammlung indirekt befreiten; auf solche Nebenpflichten könne nicht verzichtet werden, weil sonst die Hauptpflicht, die nicht zu einer angebotspflichtigen Gruppe führt, nicht abgesichert werden könnte. Schliesslich würden die übrigen Aktionäre die Möglichkeit haben, bei der De-SPAC-Transaktion auszusteigen, d.h. ihr Rückverkaufsrecht auszuüben und ihre Aktien an VT5 zurück zu verkaufen. Damit werde mindestens funktional das Ausstiegsrecht wie beim öffentlichen Angebot gewahrt.

3.4 Erwägungen der Übernahmekommission und Fazit

[29] Der Hauptzweck des Instruments der Angebotspflicht besteht im Schutz der Minderheitsaktionäre. Diesen soll die Möglichkeit eines Ausstiegs aus der Gesellschaft offenstehen, wenn die Kontrolle auf einen (neuen) Aktionär oder eine (neue) Aktionärsgruppe übergeht, was immer auch mit der (abstrakten) Gefahr einer erheblichen Veränderung der Unternehmenspolitik mit entsprechendem Schädigungspotential verbunden ist (vgl. zum Ganzen Sonja Blaas, Entstehung und Nachweis der angebotspflichtigen Gruppe, Diss. Bern 2016, Rn 37 ff.).

[30] Bei der SPAC VT5 wird — gestützt auf deren Grundstruktur (vgl. u.a. Ziff. 2 der Statuten von VT5) — allen Aktionären für den Fall des Erwerbs des gewählten Akquisitionsobjekts ein Rückgaberecht für ihre Aktien (grosso modo zum Ausgabepreis) im Rahmen eines (SPAC-)Rückkaufangebots gewährt (vgl. zum Rückverkaufsrecht die Ausführungen im Sachverhalt Bst. I oben). Mit anderen Worten sieht die SPAC mit Blick auf den deren eigentlichen Hauptzweck — nämlich die Realisierung der IBC (und eine damit allfällig einhergehende Änderung der Kontrollverhältnisse über die Gesellschaft) — ein Ausstiegsrecht für alle Aktionäre vor.

[31] Der spezifische Setup der SPAC stellt dabei sicher, dass die in VT5 investierten Aktionäre ihre Stimmen an der massgeblichen Investoren- und Generalversammlung in (weitgehender) Kenntnis der sich nach Vollzug der De-SPAC-Transaktion einstellenden Kontrollverhältnisse (vgl. die Ausführungen der Gesuchstellerin in Sachverhalt Bst. I) abgeben und sich frei entscheiden können, ob sie weiterhin in VT5 investiert bleiben oder unter Andienung ihrer Aktien in das obligatorische (SPAC-)Rückkaufangebot von VT5 aus ihrem Investment aussteigen möchten.

[32] Das (SPAC-)Rückkaufangebot stellt gemäss der Richtlinie betr. Kotierung von SPACs der SIX eine zwingende Voraussetzung für die Kotierung einer SPAC im sog. Standard for SPACs an der SIX dar. Das Rückverkaufsrecht wird u.a. in Ziff. 2 der Statuten von VT5 sowie im IPO-Prospekt vom 6. Dezember 2021 sowie in weiteren u.a. auf der Website von VT5 abrufbaren Dokumenten beschrieben (Dokumente abrufbar über die Website von VT5 unter dem Link https://www.vt5.ch/; zuletzt abgerufen am 31. Oktober 2023).

[33] Anleger, welche in VT5 investieren, erwerben die Aktien der VT5 somit in voller Kenntnis der dargestellten besonderen Struktur der SPAC und wissen insbesondere um die spezielle Ausstiegsmöglichkeit im Rahmen eines obligatorischen (SPAC-)Rückkaufangebots. Die Unterzeichnung der Commitment Letter unterstützt die Struktur und besonderen Eigenschaften der vorliegenden SPAC und führt für die übrigen Aktionäre zu keiner zusätzlichen Einschränkung. Vielmehr erhalten sie als Folge der Unterzeichnung eine verbesserte Transparenz über die Kontrollverhältnisse nach der De-SPAC-Transaktion. Die Anwendung der übernahmerechtlichen Pflichtangebotsregeln (im Sinne von Art. 135 Abs. 2 FinfraG i.V.m. Art. 42 – 47 FinfraV-FINMA) erscheint deshalb für den konkreten Sachverhalt nicht angezeigt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, weshalb die Aktionäre vor einem Kontrollwechsel zu schützen sind, den sie in dieser oder ähnlicher Form bereits anlässlich des Erwerbs der VT5-Aktien vorhersehen konnten und welcher dem eigentlichen Ziel der SPAC-Struktur entspricht.

[34] Angesichts der hiervor beschriebenen konkreten Ausgestaltung der vorliegenden SPAC, und aufgrund des Umstands, dass die Aktionäre sich zwar über die statutarisch angestrebte Akquisition bzw. die Durchführung einer IBC (als eigentlichen Hauptzweck von VT5) mit Blick auf die R&S Gruppe abstimmen, sich darüber hinaus jedoch nicht in Bezug auf die strategische Ausrichtung der «neuen» Gesellschaft koordinieren, sowie mangels Hinweisen auf eine Verletzung der übernahmerechtlichen Grundsätze (Transparenz, Gleichbehandlung, Lauterkeit) oder einer Umgehung des FinfraG oder anderer Gesetzesbestimmungen rechtfertigt sich im vorliegenden Fall die Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht im Sinne von Art. 136 Abs. 1 FinfraG i.V.m. Art. 41 Abs. 1 FinfraV-FINMA.

[35] Dem Eventualantrag, Ziff. 2 der Gesuchstellerin wird stattgegeben.

[36] VT5 wird im Sinne einer Auflage gemäss Art. 41 Abs. 3 FinfraV-FINMA verpflichtet, (i) die Übernahmekommission über die Identität aller die Commitment Letter unterzeichnenden Aktionäre (Name bzw. Firma und [Wohn-]Sitz) in Kenntnis zu setzen und (ii) ihr eine Kopie sämtlicher unterzeichneter Commitment Letter zuzustellen; dies innert einer Frist von fünf Börsentagen nach Bekanntwerden bzw. Kenntnis aller die Commitment Letter unterzeichnenden Aktionäre.

4.  Publikation

[37] Nach Art. 61 Abs. 3 UEV veröffentlicht die Zielgesellschaft die allfällige Stellungnahme ihres Verwaltungsrates (Bst. a) und das Dispositiv der Verfügung der Übernahmekommission (Bst. b). Zudem veröffentlicht die Zielgesellschaft den Hinweis, innert welcher Frist und unter welchen Voraussetzungen ein qualifizierter Aktionär Einsprache gegen die Verfügung der Übernahmekommission erheben kann (Art. 61 Abs. 3 Bst. c UEV). Art. 6 und 7 UEV sind auf diese Veröffentlichung anwendbar (Art. 61 Abs. 4 UEV).

[38] VT5 bestätigte gegenüber der Übernahmekommission, dass sie keine (weitere) Stellungnahme zum Gesuch im Sinne von Art. 61 Abs. 1bis UEV oder Art. 61 Abs. 3 Bst. a UEV abzugeben gedenke (vgl. Sachverhalt Bst. J).

[39] Somit hat VT5 das Dispositiv der vorliegenden Verfügung und den Hinweis auf die Möglichkeit der qualifizierten Aktionäre, Einsprache gegen diese Verfügung zu erheben, in Anwendung von Art. 61 Abs. 3 und 4 UEV zu veröffentlichen.

[40] Die vorliegende Verfügung wird somit im Nachgang zu deren Veröffentlichung durch VT5 gemäss Art. 61 Abs. 3 und 4 UEV auf der Website der Übernahmekommission publiziert.

5.  Gebühr

[41] Gemäss Art. 126 Abs. 5 FinfraG kann die Übernahmekommission von den Parteien in Verfahren in Übernahmesachen Gebühren erheben.

[42] Nach Art. 118 Abs. 1 FinfraV erhebt die Übernahmekommission eine Gebühr, wenn sie in anderen Übernahmesachen entscheidet, insbesondere über das Bestehen einer Angebotspflicht. Die Gebühr beträgt je nach Umfang und Schwierigkeit des Falles bis zu CHF 50'000 Franken (Art. 118 Abs. 2 FinfraV).

[43] Für die Prüfung des vorliegenden Gesuchs wird angesichts von Komplexität und Umfang der zu beurteilenden Sach- und Rechtsfragen eine Gebühr in der Höhe von CHF 40'000 zu Lasten der Gesuchstellerin erhoben.


Die Übernahmekommission verfügt:

1.

 

 

 

 

 

In Abweisung des Hauptantrags, Ziff. 1 wird festgestellt, dass die Unterzeichnung von Commitment Lettern durch Aktionäre der VT5 Acquisition Company AG mit der VT5 Acquisition Company AG, welche diese jeweils dazu verpflichten im Rahmen der geplanten De-SPAC Transaktion i) ihre Investition aufrecht zu erhalten und ggf. weitere Aktien zu zeichnen, ii) an der Investorenversammlung für die geplante De-SPAC Transaktion zu stimmen sowie iii) an der Generalversammlung für die für die geplante De-SPAC Transaktion notwendigen Beschlüsse zu stimmen, bei Überschreiten des Grenzwertes von 33⅓% zur Bildung einer angebotspflichtigen Gruppe i.S.v. Art. 33 FinfraV-FINMA i.V.m. Art. 12 Abs. 1 FinfraV-FINMA führt.

2.

 

 

 

 

 

Im Zusammenhang mit der beabsichtigten Unterzeichnung von Commitment Lettern durch Aktionäre der VT5 Acquisition Company AG mit der VT5 Acquisition Company AG, welche diese jeweils dazu verpflichten im Rahmen der geplanten De-SPAC Transaktion i) ihre Investition aufrecht zu erhalten und ggf. weitere Aktien zu zeichnen, ii) an der Investorenversammlung für die geplante De-SPAC Transaktion zu stimmen sowie iii) an der Generalversammlung für die für die geplante De-SPAC Transaktion notwendigen Beschlüsse zu stimmen, wird den entsprechenden Aktionären der VT5 Acquisition Company AG je einzeln sowie in ihrer Gesamtheit als angebotspflichtige Gruppe eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt.

3.

 

 

VT5 Acquisition Company AG wird verpflichtet, (i) die Übernahmekommission über die Identität aller die Commitment Letter unterzeichnenden Aktionäre (Name bzw. Firma und [Wohn-]Sitz) in Kenntnis zu setzen und (ii) ihr eine Kopie sämtlicher unterzeichneter Commitment Letter zuzustellen; dies innert einer Frist von fünf Börsentagen nach Bekanntwerden bzw. Kenntnis aller die Commitment Letter unterzeichnenden Aktionäre.

4.

 

VT5 Acquisition Company AG veröffentlicht in Anwendung von Art. 61 Abs. 3 und 4 UEV das Dispositiv der vorliegenden Verfügung und den Hinweis auf die Möglichkeit der qualifizierten Aktionäre, Einsprache gegen diese Verfügung zu erheben.

5.

Die vorliegende Verfügung wird im Nachgang zu deren Veröffentlichung gemäss Dispositiv-Ziff. 4 hiervor auf der Website der Übernahmekommission publiziert.

6.

 

Die Gebühr zu Lasten der VT5 Acquisition Company AG beträgt CHF 40'000.

 

Die Präsidentin:

 

Mirjam Eggen

 

 

Diese Verfügung geht an die Parteien:

  • VT5 Acquisition Company AG, vertreten durch Dr. Matthias Courvoisier, Baker McKenzie Zürich.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Beschwerde (Art. 140 des Finanzmarktinfrastrukturgesetzes, SR 958.1):

Diese Verfügung kann innert einer Frist von fünf Börsentagen bei der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA, Laupenstrasse 27, CH-3003 Bern, angefochten werden. Die Anfechtung hat schriftlich zu erfolgen und ist zu begründen. Die Beschwerde hat den Erfordernissen von Art. 52 VwVG zu genügen.

Einsprache (Art. 58 der Übernahmeverordnung, SR 954.195.1):

Ein Aktionär, welcher eine Beteiligung von mindestens drei Prozent der Stimmrechte an der Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, nachweist (qualifizierter Aktionär, Art. 56 UEV) und am Verfahren bisher nicht teilgenommen hat, kann gegen die vorliegende Verfügung Einsprache erheben. Die Einsprache ist bei der Übernahmekommission innerhalb von fünf Börsentagen nach der Veröffentlichung der vorliegenden Verfügung einzureichen. Sie muss einen Antrag und eine summarische Begründung sowie den Nachweis der Beteiligung gemäss Art. 56 Abs. 3 und 4 UEV enthalten (Art. 58 Abs. 3 UEV).