SWISS TAKEOVER BOARD

Transaktionen

0249 - Saia-Burgess Electronics Holding AG

Empfehlung V Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 23. August 2005

Öffentliches Kaufangebot von Sumida Holding Germany GmbH, Neumarkt, Deutschland, für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien von Saia-Burgess Electronics Holding AG, Murten – Abwehrmassnahme

A.
Saia-Burgess Electronics Holding AG („Saia-Burgess“ oder „Zielgesellschaft“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Murten (FR). Ihr Aktienkapital beträgt CHF 30'672'500 und ist aufgeteilt in 613'450 Namenaktien („Saia-Burgess-Aktien“) mit einem Nennwert von je CHF 50. Die Namenaktien sind an der SWX Swiss Exchange („SWX“) kotiert.

B.
Sumida Holding Germany GmbH („Sumida“ oder „Anbieterin“) ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach deutschem Recht mit Sitz in Neumarkt, Deutschland. Sumida hat ein Stammkapital von EUR 25'000. Der Geschäftszweck von Sumida besteht im Erwerb und der Verwaltung von Beteiligungen an Kapital- und Personengesellschaften.
Sumida Corporation ist eine nach japanischem Recht bestehende Aktiengesellschaft mit Hauptsitz in Tokyo, Japan („Sumida Corporation“). Sumida Corporation hält 100% der Anteile und Stimmrechte an Sumida.

C.
Am 30. Juni 2005 kündigte Sumida Corporation in den elektronischen Medien auf Englisch an, dass sie voraussichtlich am 22. Juli 2005 ein öffentliches Übernahmeangebot für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 50 von Saia-Burgess unterbreiten werde. Mittels Medieninformation teilte Saia-Burgess am 1. Juli 2005 mit, dass der Verwaltungsrat von Saia-Burgess das von Sumida angekündigte Übernahmeangebot ablehne.

D
Am 5. Juli 2005 erfolgte die landesweite Publikation der Voranmeldung, indem diese in mehreren Zeitungen in deutscher und französischer Sprache veröffentlicht wurde. Als Angebotspreis wurden CHF 950 je Saia-Burgess-Aktie angekündigt. Das Angebot wurde in der Voranmeldung an verschiedene Bedingungen geknüpft. Ferner wurde vorgesehen, dass das Angebot von Sumida Corporation oder einer ihrer hundertprozentigen Tochtergesellschaften unterbreitet werde.

E.
Die Übernahmekommission erliess am 15. Juli 2005 eine Empfehlung zur Voranmeldung des Angebots von Sumida Corporation und verschiedenen damit zusammenhängenden Fragen (vgl. ).

F.   
Am 22. Juli 2005 erfolgte die landesweite Verbreitung des öffentlichen Kaufangebots von Sumida für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien von Saia-Burgess.

G.
Am 27. Juli 2005 erliess die Übernahmekommission eine Empfehlung zur Karenzfrist (vgl. Empfehlung II in Sachen Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 27. Juli 2005) und am 3. August 2005 eine Empfehlung zum Angebotsprospekt (vgl. [„Empfehlung III“]).

H.  
Am 8. August 2005 erfolgte gemäss Empfehlung III die landesweite Verbreitung des öffentlichen Kaufangebots von Sumida für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien von Saia-Burgess, indem dieses in mehreren Zeitungen auf Deutsch und Französisch veröffentlicht wurde.

I.
Der Verwaltungsrat von Saia-Burgess veröffentlichte seinen Bericht am 11. August 2005 in den elektronischen Medien und eine Zusammenfassung davon in den Zeitungen. Gleichentags wurde auf der Homepage von Saia-Burgess eine Fairness Opinion veröffentlicht. Der Verwaltungsrat legte in seinem Bericht dar, dass die in den Arbeitsverträgen der Mitglieder der Gruppenleitung vorgesehenen Kündigungsfristen vor der Voranmeldung des Sumida-Angebots von 12 Monaten auf 24 Monate verlängert wurden („Vertragsergänzungen“).

J. 
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 10. August 2005 forderte die Übernahmekommission die Zielgesellschaft auf, die Vertragsergänzungen bis am 11. August 2005 einzureichen. Neben der Verlängerung der Kündigungsfristen von 12 auf 24 Monate räumen die am 20. Juni 2005 unterzeichneten Vertragsergänzungen den Gruppenleitungsmitgliedern ein Recht ein, nach erfolgter Kündigung – durch den Arbeitgeber oder -nehmer – während der Kündigungsfrist die Freistellung zu verlangen, sofern dem Arbeitnehmer im Zusammenhang mit einer Übernahme/Beteiligung (von mehr als 20% bis und mit 33.3%) eine Position zugewiesen wird, die der jetzigen Stellung, den Kompetenzen, Aufgaben oder Berichterstattungspflichten nicht entspricht und auch nicht mit dieser vergleichbar ist. In diesem Fall gilt ein allfälliges Konkurrenzverbot als aufgehoben. Die Vertragsergänzungen dauern grundsätzlich bis zum vorletzten Tag des 12. Kalendermonats nach der Entstehung der Offenlegungspflicht einer Beteiligung, dem Entstehen einer Angebotspflicht oder dem definitiven Zustandekommen eines freiwilligen Übernahmeangebots, längstens aber bis 30. Juni 2007. Trifft keiner der drei genannten Fälle ein, endet die Vereinbarung am 30. Juni 2006.

K.
Mit verfahrensleitender Anordnung vom 12. August 2005 forderte die Übernahmekommission die Anbieterin auf, bis zum 15. August 2005 zur Frage der übernahmerechtlichen Zulässigkeit der Vertragsergänzungen Stellung zu nehmen. Die Zielgesellschaft hatte Gelegenheit, sich bis zum 16. August 2005 zur Eingabe der Anbieterin zu äussern. Auf die fristgerecht eingegangenen Eingaben der Parteien wird – sofern erforderlich – in den Erwägungen eingegangen.

L.
Die Übernahmekommission äusserte sich am 15. August 2005 mit Empfehlung IV zum Verwaltungsratsbericht („Empfehlung IV“) und behielt sich vor, später über die Zulässigkeit der Vertragsergänzungen zu entscheiden (vgl. , Erwägung 1.2.4.3).

M.
Zur Prüfung der vorliegenden Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus Herrn Hans Rudolf Widmer (Präsident des Ausschusses), Frau Claire Huguenin und Herrn Henry Peter gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Abwehrmassnahmen

1.1 Allgemeines

1.1.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BEHG darf der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft von der Veröffentlichung des Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses keine Rechtsgeschäfte beschliessen, mit denen der Aktiv- oder Passivbestand der Gesellschaft in bedeutender Weise verändert würde. Art. 35 UEV-UEK konkretisiert die Abwehrmassnahmen des Verwaltungsrats, die ausserhalb eines Beschlusses der Generalversammlung gesetzwidrig sind. Abwehrmassnahmen, die offensichtlich das Gesellschaftsrecht verletzen, stellen unzulässige Massnahmen im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BEHG dar (Art. 36 UEV-UEK).

1.1.2 Abwehrmassnahmen sind demnach alle Handlungen der zuständigen Organe, die bei objektiver Betrachtungsweise geeignet sind, eine unerwünschte Übernahme zu erschweren oder zu verhindern (vgl. auch , Erw. 1.2). Nachfolgend ist zu prüfen, ob die Ergänzungen zu den Arbeitsverträgen der Gruppenleitungsmitgliedern vom 20. Juni 2005 eine Abwehrmassnahme darstellen. Art. 35 Abs. 2 lit. c UEV-UEK erklärt den Abschluss von Verträgen mit Mitgliedern des Verwaltungsrats oder der obersten Geschäftsleitung, welche unüblich hohe Entschädigungen für den Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft vorsehen ausserhalb eines Beschlusses der Generalversammlung als Abwehrmassnahme. Der theoretisch höchstmögliche Gesamtbetrag, welcher den Gruppenleitungsmitgliedern während der Kündigungsfrist von 24 Monaten im Falle eines Kontrollwechsels und einer Freistellung (vgl. Sachverhalt lit. J) zu bezahlen wäre, beträgt CHF 8'301'600 bzw. CHF 4'150'800 für ein Jahr (inkl. Sozialabgaben und Pensionskassenbeiträge; vgl. ergänzter Verwaltungsratsbericht vom 18. August 2005). Bezogen auf den Jahresabschluss per 31. Dezember 2004 entsprechen CHF 4'150'800 ca. 5.7% des EBITDA (CHF 72'799'000), rund 16% des Reingewinns (CHF 26'346'000), ca. 13% des für die Forschung und Entwicklung ausgegebenen Betrages (CHF 31'182'000) und rund 2/3 der Dividenden (CHF 6'132'000). Dieser Betrag wird den Gruppenleitungsmitgliedern bezahlt, wenn ihnen eine nicht vergleichbare Position zugewiesen wird. Zudem fällt in diesem Fall ein allfälliges Konkurrenzverbot dahin. Mit anderen Worten wäre Sumida verpflichtet, die Geschäftsleitung tel quel für 24 Monate zu übernehmen oder auszuzahlen mit dem Risiko, dass die entsprechenden Manager zu einem Konkurrenten wechseln. Die Vertragsergänzungen sind daher grundsätzlich geeignet, die Übernahme zu erschweren und stellen eine Abwehrmassnahme dar.

1.1.3 Im Folgenden ist zu prüfen, ob die Abwehrmassnahme gesetzeskonform oder gesetzwidrig bzw. unzulässig ist.

1.2 Gesetzwidrige Abwehrmassnahme nach Art. 35 UEV-UEK

1.2.1 Gemäss Art. 29 Abs. 2 BEHG und Art. 9 Abs. 3 lit. c UEV-UEK darf der Verwaltungsrat der Zielgesellschaft von der Veröffentlichung des Angebots bis zur Veröffentlichung des Ergebnisses keine gesetzwidrige Abwehrmassnahme beschliessen. Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung ist demnach die Veröffentlichung des Angebots bzw. der Voranmeldung (vgl. Rudolf Tschäni/Matthias Oertle, in: Nedim Peter Vogt/Rolf Watter [Hrsg.], Kommentar zum schweizerischen Kapitalmarktrecht, Basel 1999, Art. 29 BEHG N 10; Rudolf Tschäni/Hans-Jakob Diem, Die Pflichten des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft bei Übernahmeangeboten, in Mergers & Acquisitions VIII, S. 62; Robert Bernet, Die Regelung öffentlicher Kaufangebot im neuen Börsengesetz [BEHG], Bern 1998, S. 281; Jrena Frauenfelder, Die Pflichten der Zielgesellschaft gemäss Art. 29 BEHG, Zürich 2001, S. 108; Stephan Werlen, Die Rechtsstellung der Zielgesellschaft im Übernahmekampf, Zürich 2001, S. 174; Christoph B. Bühler, Die Neutralitätspflicht des Verwaltungsrates der Zielgesellschaft bei öffentlichen Übernahmeangeboten, Zürich 2002, S. 5 f.). Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers (vgl. Botschaft zum Börsengesetz, Sonderdruck, S. 47). Ein Teil der Lehre erachtet entgegen mehreren genau so lautenden Stellen in Gesetz und Verordnung den Zeitpunkt als massgebend, in dem die Zielgesellschaft vom Entschluss der Anbieterin Kenntnis erhält (vgl. Peter Böckli, Schweizer Aktienrecht, 3. A., Zürich 2004, § 7 N 153 ff.; Urs Bertschinger, Zu den börsengesetzlichen Kompetenzen des Verwaltungsrates und der Generalversammlung bei Unternehmensübernahmen – Art. 29 Abs. 2 BEHG, SJZ 94 [1998] S. 329 ff.; Carole Lea Gehrer, Statutarische Abwehrmassnahmen gegen Übernahmen, Zürich 2003, S. 29).

1.2.2 Die Anbieterin ist erst mit der Voranmeldung an ihr Angebot gebunden. Es geht daher nicht an, dass die Zielgesellschaft in ihrem Handeln bereits eingeschränkt ist, sobald Übernahmegerüchte auf dem Markt entstehen. Allfällige „Sondierungsgespräche“ zwischen der Anbieterin und der Zielgesellschaft genügen nicht, um letztere zu binden. Es müsste vielmehr ein der Zielgesellschaft bekannter substantieller Entschluss der Anbieterin vorliegen. Es steht der Anbieterin nämlich frei, die Voranmeldung bis zu sechs Wochen vor der Veröffentlichung des Angebots zu publizieren (Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK) und den Zeitpunkt für die Beurteilung der Zulässigkeit von Abwehrmassnahmen in diesem zeitlichen Rahmen festzulegen. Bei einer Umgehung von Art. 29 Abs. 2 BEHG bzw. Art. 9 Abs. 3 lit. c UEV-UEK könnte eine Abweichung vom klaren Wortlaut des Gesetzes gegebenenfalls gerechtfertigt sein.

1.2.3 Die Vertragsergänzungen wurden am 20. Juni 2005 unterzeichnet (vgl. Sachverhalt lit. J). Wann Saia-Burgess Kenntnis vom Inhalt eines öffentlichen Kaufangebots von Sumida erlangte, ist umstritten: Während die Anbieterin in ihrer Stellungnahme ausführt, der Verwaltungsrat von Saia-Burgess habe bereits am 15. Juni 2005 gewusst, dass Sumida ein Übernahmeangebot auf Saia-Burgess lancieren werde, legt die Zielgesellschaft dar, Herr Yawata, CEO von Sumida Corporation, habe Saia-Burgess erst am 26. Juni 2005 informiert, dass die Anbieterin ein Übernahmeangebot plane und durchführen werde; die Ernsthaftigkeit dieser Absicht habe Saia-Burgess aber nicht einschätzen können, zumal keine schriftliche Interessenbekundung vorgelegen habe. Auf der anderen Seite erklärt die Zielgesellschaft, dass Herr Ulrich Ruetz, Vertreter von Sumida, am 15. Juni 2005 mit Herrn Andreas Ocskay, vormaliger Verwaltungsratspräsident von Saia-Burgess, in Kontakt gewesen sei. Anschliessend sei Herr Daniel Hirschi, CEO von Saia-Burgess, telefonisch informiert geworden.

1.2.4 Anhaltspunkte für eine Umgehung des Gesetzes liegen keine vor, so dass der für die Beurteilung der allfälligen Gesetzwidrigkeit der Vertragsergänzungen massgebende Zeitpunkt die Voranmeldung ist. Da die Vertragsergänzungen am 20. Juni 2005, d.h. vor der Voranmeldung, unterzeichnet wurden, liegt keine gesetzwidrige Abwehrmassnahme gemäss Art. 35 UEV-UEK vor. Ob die Vertragsergänzungen unüblich im Sinne von Art. 35 Abs. 2 lit. c UEV-UEK sind, ist daher nicht zu prüfen.

1.3 Unzulässige Abwehrmassnahme nach Art. 36 UEV-UEK

1.3.1 Abwehrmassnahmen, die offensichtlich das Gesellschaftsrecht verletzen, stellen unzulässige Massnahmen im Sinne von Art. 29 Abs. 3 BEHG dar (Art. 36 UEV-UEK). Das Börsengesetz verleiht der Übernahmekommission demnach die Kompetenz, die aktienrechtliche Zulässigkeit der übernahmerelevanten Handlungen des Managements der Zielgesellschaft zu prüfen (vgl. , Erw. 1.2.1). Mit anderen Worten beurteilt sich die Zulässigkeit einer Abwehrmassnahme auch danach, ob bei deren Ergreifung die Schranken des Aktienrechts beobachtet worden sind oder nicht (vgl. zum Ganzen: Robert Bernet, a.a.O., S. 283; Stephan Werlen, a.a.O., S. 171; Jrena Frauenfelder, a.a.O., S. 167; Christoph B. Bühler, a.a.O., S. 38).

1.3.2 Unter welchen Voraussetzungen eine Abwehrmassnahme nach Art. 36 UEV-UEK offensichtlich das Gesellschaftsrecht verletzt, ist umstritten. Ein Teil der Lehre erfasst nur die Nichtigkeitsfälle von Art. 706b OR als offensichtliche Verletzung des Gesellschaftsrechts, d.h. Verstösse gegen die Grundstruktur der Aktiengesellschaft und den Kapitalschutz. Das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot und die Verpflichtung zur Wahrung des Gesellschaftsinteresses wird hier nicht eingeordnet (Rudolf Tschäni/Hans-Jakob Diem, a.a.O., S. 63; Peter Böckli, a.a.O., § 7 N 230). Der andere Teil der Lehre stützt sich für die Beurteilung einer offensichtlichen Verletzung des Gesellschaftsrechts überdies auch auf die Anfechtungsgründe von Art. 706 OR. Mit anderen Worten wird auch ein Verstoss gegen das Gleichbehandlungsgebot oder die Verpflichtung zur Wahrung des Gesellschaftsinteresses (Art. 717 OR) als offensichtliche Gesetzesverletzung erfasst (Christoph Bühler, a.a.O., S. 37; Jrena Frauenfelder, a.a.O., S. 168; Stephan Werlen, a.a.O., S. 170; Robert Bernet, a.a.O., S. 285).

Die Übernahmekommission ist der Ansicht, dass für die Qualifizierung einer offensichtlichen Verletzung des Gesellschaftsrechts nicht zwingend auf die Unterscheidung Nichtigkeits-/Anfechtungsgrund abgestellt werden muss. Vielmehr muss die Verletzung des formellen oder materiellen Gesellschaftsrechts qualifizierter Art und aufgrund einer summarischen Prüfung relativ leicht erkennbar sein. Dabei ist auch das Gesellschaftsinteresse zu berücksichtigen, da Abwehrmassnahmen ohne Effizienzsteigerung für die Gesellschaft nicht sachlich begründet sind und dadurch das Gesellschaftsrecht verletzt wird (vgl. auch Erläuterungen zum Entwurf der Übernahmekommission vom 22. Februar 1996 zur Verordnung der Übernahmekommission über öffentliche Kaufangebote [E BEHV-UEK], N 63, wonach sich diese Klausel nicht nur auf formelle, sondern auch auf materielle Verstösse gegen das Gesellschaftsrecht bezieht, insbesondere wenn eine Abwehrmassnahme offensichtlich gegen das Gesellschaftsinteresse verstösst). Die ratio legis von Art. 717 OR entspricht den Grundprinzipien des Übernahmerechts (Art. 1 BEHG; Art. 1 UEV-UEK) und ist somit als einer der möglichen Anknüpfungspunkte für die Beurteilung der (Un-)Zulässigkeit von Abwehrmassnahmen zu betrachten.

1.3.3 Verletzt eine Abwehrmassnahme offensichtlich das Gesellschaftsrecht, spielt es – im Unterschied zu den gesetzwidrigen Abwehrmassnahmen – keine Rolle, ob der Verwaltungsrat diese vor oder nach der Voranmeldung bzw. Veröffentlichung des Angebots getroffen hat. Sie können zu keiner Zeit Gültigkeit erlangen (s. Rudolf Tschäni/Hans-Jakob Diem, a.a.O., S. 63; Robert Bernet, a.a.O., S. 288; Christoph B. Bühler, a.a.O., S. 37; Stephan Werlen, a.a.O., S. 171; Jrena Frauenfelder, a.a.O., S. 163 f.; Carole Lea Gehrer, a.a.O., S. 36; in diesem Sinne auch E BEHV-UEK, N 63; a.M. Peter Böckli, a.a.O., § 7 N 189). Selbst wenn die Zielgesellschaft Abwehrmassnahmen im Voraus beschliesst, schreitet die Übernahmekommission allerdings erst bei Veröffentlichung eines öffentlichen Kaufangebots ein.

Die Zielgesellschaft führt in ihrer Stellungnahme aus, der Zweck der Vertragsergänzungen habe darin bestanden, ein vorzeitiges Ausscheiden aus der Geschäftsleitung in einer für das Unternehmen kritischen Phase zu verhindern bzw. im Falle eines Kontrollwechsels einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Ein solcher Zweck liegt zweifellos im Gesellschaftsinteresse. Vergleicht man die aktuelle Situation (Bestehen der Vertragsergänzungen) mit der vorhergehenden (Nichtbestehen der Vertragsergänzungen), ergibt sich jedoch folgender Schluss: Aufgrund der Verlängerung der Kündigungsfristen von 12 auf 24 Monate stehen die Gruppenleitungsmitglieder der Gesellschaft im Falle einer ordentlichen Kündigung während 24 Monaten mit ihrem Wissen zur Verfügung. Wird ihnen jedoch eine Position zugewiesen, die der jetzigen Stellung nicht entspricht bzw. nicht mit dieser vergleichbar ist, können sie das Arbeitsverhältnis auflösen und während der Kündigungsfrist die Freistellung verlangen. Dies ist auch möglich, wenn die Gesellschaft ihnen kündigt. Ein allfälliges Konkurrenzverbot fällt dahin (vgl. ausführlich Sachverhalt lit. J). Ohne Vertragsergänzungen wären die Gruppenleitungsmitglieder der Gesellschaft im Falle einer ordentlichen Kündigung 12 Monate erhalten geblieben, was im Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vertragsergänzungen gereicht hätte, um einen reibungslosen Übergang sicherzustellen. Zudem wäre eine Freistellung im Ermessen der Gesellschaft gewesen und hätte ein Jahresgehalt nicht überschritten. Durch die Vertragsergänzungen ist die Kontinuität in der obersten Geschäftsleitung demnach nicht besser gewahrt und verleiht dem Unternehmen keine zusätzliche Stabilität, da die Gruppenleitungsmitglieder bei einer zukünftigen nicht vergleichbaren Position im Falle der Auflösung des Arbeitsverhältnisses einen Anspruch auf Freistellung haben, eine maximale Entschädigung von 24 Monaten erhalten und der Gesellschaft während der Kündigungsfrist nicht mit ihrem Wissen zur Verfügung stehen. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Wegfall eines allfälligen Konkurrenzverbots im Falle der Freistellung nicht im Gesellschaftsinteresse liegt, da die entsprechenden Gruppenleitungsmitglieder unmittelbar nach der Freistellung bei einem Konkurrenten arbeiten könnten, wodurch der Zielgesellschaft wiederum ein grösserer – den Anspruch aus Freistellung übersteigenden Betrag und mithin – Schaden entstehen würde. Die Vertragsergänzungen, welche im Kontext der vorliegenden Übernahme beschlossen wurden, stehen daher eindeutig im Interesse der Gruppenleitungsmitglieder und nicht im Gesellschaftsinteresse.

1.3.4 Der theoretisch höchstmögliche Gesamtbetrag, welcher den Gruppenleitungsmitgliedern während der Kündigungsfrist von 24 Monaten auszubezahlen wäre, beträgt CHF 8'301'600 bzw. CHF 4'150'800 für ein Jahr (inkl. Sozialabgaben und Pensionskassenbeiträge; vgl. ergänzter Verwaltungsratsbericht vom 18. August 2005). Selbst wenn der Anspruch der Gruppenleitungsmitglieder auf Freistellung nur im Fall der Zuweisung einer nicht vergleichbaren Position und auf deren Ersuchen hin ausgelöst wird, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Verpflichtung der Gesellschaft in einer theoretischen Höhe von rund CHF 8.3 Mio. im Gesellschaftsinteresse liegt (vgl. Erw. 1.1.2 zum Vergleich dieser Summe im Verhältnis zu gewissen Kennzahlen des Jahresberichts). Vielmehr ist eine solche „Entschädigung“ im Sonderinteresse der Gruppenleitungsmitglieder.

1.3.5 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Abwehrmassnahme nicht im Gesellschaftsinteresse, sondern offensichtlich im Interesse der Gruppenleitungsmitglieder liegt. Die Vertragsabschlüsse können weder mit vernünftig wirtschaftlichen Überlegungen begründet werden noch sind sie sachlich begründet, da die Kontinuität in der obersten Geschäftsleitung im Fall eines Kontrollwechsels auch und besser ohne die Vertragsergänzungen gewahrt gewesen wäre. Die Vertragsergänzungen verletzen offensichtlich das Gesellschaftsinteresse und mithin Art. 717 OR und stellen daher eine unzulässige Abwehrmassnahme im Sinne von Art. 36 UEV-UEK dar. Dass die Anbieterin nicht beabsichtigt, die bestehende Geschäftsführung von Saia-Burgess zu ändern oder zu ersetzen (vgl. Angebotsprospekt Ziff. 5.3 zweitletzter Absatz) vermag an der Unzulässigkeit der Abwehrmassnahme nichts zu ändern. Überdies hatte Saia-Burgess zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vertragsergänzungen keine Kenntnis von dieser Absicht, zumal sie Sumida erst mit dem Angebotsprospekt vom 22. Juli 2005 kundtat (vgl. Sachverhalt lit. F).

2. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird in Anwendung von Art. 23 Abs. 3 BEHG nach der Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.

3. Gebühr

Gemäss Art. 62 Abs. 3 und 5 UEV-UEK wird eine Gebühr von CHF 30'000 erhoben.

* * * * * * * * * *

Gestützt auf diese Erwägungen erlässt die Übernahmekommission die folgende Empfehlung:

  1. Die Ergänzungen zu den Arbeitsverträgen der Gruppenleitungsmitglieder von Saia-Burgess Electronics Holding AG vom 20. Juni 2005 stellen eine unzulässige Abwehrmassnahme dar.
     

  2. Diese Empfehlung wird nach Eröffnung an die Parteien auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht.
     

  3. Die Gebühr zu Lasten von Saia-Burgess Electronics Holding AG, Murten, beträgt CHF 30'000.
     

Der Präsident des Ausschusses:

Hans Rudolf Widmer

Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • Saia-Burgess Electronics Holding AG, durch ihren Vertreter;
  • Sumida Holding Germany GmbH, durch ihren Vertreter;
  • die Eidgenössische Bankenkommission;

  • die Prüfstelle (zur Kenntnisnahme)