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0255 - Società Elettrica Sopracenerina S.A.

Empfehlung Società Elettrica Sopracenerina S.A. vom 11. November 2005

Gesuch von Electricité de France International, Paris/Frankreich, EOS-Holding, Lausanne, Aziende Industriali di Lugano AG, Lugano, Elektra Birseck, Münchenstein, Elektra Baselland, Liestal, IBAarau AG, Aarau, des Kantons Solothurn und der Wasserwerke Zug, Zug, sowie von Aare-Tessin AG für Elektrizität, Olten, um Gewährung einer Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden Aktien von Società Elettrica Sopracenerina S.A., Locarno

A.
Società Elettrica Sopracenerina S.A. („SES“ oder „Zielgesellschaft“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Locarno. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 27'500'000, eingeteilt in 1'100'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 25. Die Aktien sind an der SWX Swiss Exchange („SWX“) kotiert. Die Statuten von SES enthalten keine Opting out-Klausel.

B.
Aare-Tessin AG für Elektrizität („Atel“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Olten. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 303'600'000, eingeteilt in 3'036'000 Namenaktien mit einem Nennwert von je CHF 100. Die Aktien sind an der SWX kotiert. Atel hält eine Beteiligung von 59.54% an SES. Die Statuten von Atel enthalten keine Opting out-Klausel.

C.
Motor-Columbus AG („Motor-Columbus“) ist eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Baden. Ihr Aktienkapital beträgt CHF 253'000'000, eingeteilt in 506'000 Inhaberaktien mit einem Nennwert von je CHF 500 („Motor-Columbus-Aktien“). Die Aktien sind an der SWX kotiert. Die Statuten von Motor-Columbus enthalten eine Opting out-Klausel. Motor-Columbus ist eine reine Finanzholding mit Beteiligungen vor allem im Energiebereich. Als wichtigste Beteiligung hält sie 58.51% aller Namenaktien der operativ tätigen Atel.

D.
UBS AG („UBS“) mit Sitz in Zürich und Basel hielt eine Beteiligung von 55.64% an Motor-Columbus. Bedeutende Aktionäre von Motor-Columbus sind Electricité de France International („EDFI“), die 20% der Inhaberaktien an Motor-Columbus hält und EOS-Holding („EOSH“), welche 15.44% der Inhaberaktien an Motor-Columbus hält. Am 29. September 2005 schloss UBS mit EOSH, Aziende Industriali di Lugano AG („AIL“), Elektra Birseck („EBM), Elektra Baselland („EBL“), IBAarau AG („IBA“), dem Kanton Solothurn („KtSO“) und den Wasserwerken Zug („WWZ“) sowie Atel einerseits und mit EDFI andererseits je einen Kaufvertrag ab, worin sich UBS verpflichtete, EOSH, AIL, EBM, EBL, IBA, KtSO, WWZ, EDFI und Atel ihre Beteiligung an Motor-Columbus in der Höhe von 55.64% zu verkaufen (nachfolgend „Kaufverträge“). Der Vollzug der Kaufverträge ist unter anderem an die Bedingung geknüpft, dass die zuständigen Wettbewerbsbehörden den Erwerb der Motor-Columbus-Aktien genehmigen, ohne dass Auflagen und/oder Bedingungen gemacht werden, die für die Konsortialmitglieder unvertretbar sind, oder eine Freistellungsbescheinigung erteilen. Der Vollzug wird anfangs 2006 erwartet. EOSH, AIL, EBM, EBL, IBA, KtSO, WWZ, EDFI (alle zusammen „Konsortium“ oder „Konsortialmitglieder“) und Atel (zusammen mit den Konsortialmitgliedern „Gesuchsteller“) schlossen zeitgleich eine Konsortialvereinbarung ab und halten insgesamt eine Beteiligung von 32.46% an Atel. Das Konsortium und Atel verfolgen die industrielle Absicht, die führende Energiegesellschaft der westlichen Schweiz mit europäischer Ausrichtung und Dimension zu schaffen.

E.
Mit Empfehlung vom 11. August 2005 stellte die Übernahmekommission fest, dass die Konsortialmitglieder Atel und auch SES mit Unterzeichnung der Konsortialvereinbarung kontrollieren und sowohl gegenüber den Aktionären von Atel als auch denjenigen von SES nach Art. 32 Abs. 1 BEHG angebotspflichtig sind. Gleichzeitig verlängerte die Übernahmekommission die Frist zur Unterbreitung des Pflichtangebots an die Aktionäre von Atel bis zum Vollzug der Kaufverträge, längstens aber bis Februar 2006 (vgl. , Erw. 4.1).

F.
Nach Durchführung des Übernahmeangebots an die Atel-Aktionäre sollen Atel sowie Motor-Columbus umstrukturiert und in eine Holding umgeformt werden. Sodann werden die Aktivitäten der Holding mit den betrieblichen Aktivitäten und Aktiven von EOSH sowie gegebenenfalls den schweizerischen Aktivitäten von Electricité de France bzw. Energie Baden-Würtemberg AG zusammengeführt.

G.
Am 13. Oktober 2005 legten die Gesuchsteller der Übernahmekommission ein Gesuch vor mit dem Antrag, es sei dem Konsortium und Atel eine Ausnahme im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK von der Pflicht zur Unterbreitung eines öffentlichen Übernahmeangebots für alle sich im Publikum befindenden Aktien von SES zu gewähren. Eventualiter sei eine Erstreckung der Frist zur Unterbreitung des Übernahmeangebots an die Aktionäre von SES gemäss Art. 36 Abs. 2 BEHV-EBK bis zum Vollzug der Aktienkaufverträge und im Fall des Nichtvollzugs eine Ausnahme im Sinne von Art. 32 Abs. 2 lit. c BEHG zu gewähren.

H.
Zusammen mit dem Gesuch wurde die Stellungnahme des Verwaltungsrats von SES vom 12. Oktober 2005 eingereicht. Der Verwaltungsrat von SES unterstützt das Ausnahmegesuch der Gesuchsteller. Auf die einzelnen Punkte des Gesuchs sowie der Stellungnahme des Verwaltungsrats wird, soweit erforderlich, im Rahmen der Erwägungen eingegangen.

I.
Zur Prüfung dieser Angelegenheit wurde ein Ausschuss bestehend aus den Herren Hans Rudolf Widmer (Präsident), Raymund Breu und Alfred Spörri gebildet.


Die Übernahmekommission zieht in Erwägung:

1. Angebotspflicht im Sinne von Art. 32 BEHG

1.1 Gemäss Art. 32 Abs. 1 BEHG muss diejenige Person, welche direkt, indirekt oder in gemeinsamer Absprache mit Dritten Beteiligungspapiere erwirbt und damit mit den Papieren, die sie bereits besitzt, den Grenzwert von 33 1/3% der Stimmrechte einer Zielgesellschaft, ob ausübbar oder nicht, überschreitet, ein Angebot für alle kotierten Beteiligungspapiere der Gesellschaft unterbreiten.

1.2 Als indirekter Erwerb gilt gemäss Art. 26 BEHV-EBK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK der Erwerb und die Veräusserung einer Beteiligung, die direkt oder indirekt die Beherrschung einer juristischen Person vermittelt, welche ihrerseits direkt oder indirekt Beteiligungspapiere hält.

1.3 Bis anhin wurde SES indirekt von UBS gehalten, welche 55.64% der Stimmrechte von Motor-Columbus hielt, die ihrerseits eine 58.5%-Beteiligung an Atel hält, welche wiederum im Besitz einer 59.54%-Beteiligung an SES ist (vgl. oben Sachverhalt lit. B und D).
Mit Unterzeichnung der Konsortialvereinbarung verfügen das Konsortium und Atel über 55.64% der Stimmrechte von Motor-Columbus. Dies führt grundsätzlich dazu, dass die Gesuchsteller mit 55.64% die absolute Mehrheit der Stimmrechte von Motor-Columbus erwerben, d.h. es findet eine wesentliche Änderung der bisherigen Stimmrechtsverhältnisse statt, welche im Ergebnis dem Konsortium und Atel im Sinne von Art. 26 BEHV-EBK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK die Kontrolle über SES vermittelt.

2. Ausnahme von der Angebotspflicht im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BEHG

2.1 Die Gesuchsteller stellen den Antrag, es sei ihnen eine Ausnahme im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BEHG i.V.m. Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots für alle sich im Publikum befindenden Aktien von SES zu gewähren (vgl. Sachverhalt lit. G).

2.2 Gemäss Art. 32 Abs. 2 BEHG kann in berechtigten Fällen eine Ausnahme von der Angebotspflicht gewährt werden. Als „berechtigter Fall“ im Sinne von Art. 32 Abs. 2 BEHG gilt gemäss Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK der Fall, in dem der die Angebotspflicht auslösende Erwerb indirekt im Sinne von Art. 26 BEHV-EBK i.V.m. Art. 9 Abs. 3 lit. c BEHV-EBK erfolgt, dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben. Da unbestritten ist, dass ein indirekter Erwerb im oben genannten Sinne vorliegt, muss in casu somit noch geprüft werden, ob dieser Erwerb nicht zu den Hauptzielen der Transaktion zählt und die Interessen der Aktionäre der Zielgesellschaft gewahrt bleiben.

2.3 Es kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein indirekter Erwerb dann nicht zu den Hauptzielen einer Transaktion gehört, wenn die Transaktion auch ohne diesen indirekten Erwerb vorgenommen worden wäre. Im vorliegenden Fall muss somit geprüft werden, ob die SES bzw. ihre Geschäftstätigkeiten innerhalb der Atel-Gruppe eine Bedeutung einnehmen, aufgrund welcher anzunehmen ist, dass der Kauf von Motor-Columbus Aktien durch die Gesuchsteller – auch unter Berücksichtigung der Umstrukturierung von Atel und Motor-Columbus (vgl. Sachverhalt lit. F) – ohne die SES-Beteiligung nicht getätigt worden wäre.

2.3.1 Mit einem Absatz von rund 93 TWh im physischen Stromgeschäft, einem Handelsgeschäft mit Standardprodukten im Umfang von rund 109 TWh, einer Marktkapitalisierung von CH 6.506 Mia. (per 30. Juni 2005) und einem Umsatz von rund CHF 6.955 Mia. (Geschäftsjahr 2004), ist Atel das führende europaweit tätige Elektrizitätsunternehmen der Schweiz. Atel ist im Stromhandel, in der Stromproduktion und in den Energieservices mit eigenen Tochtergesellschaften und Niederlassungen aktiv (vgl. Geschäftsbericht 2004 von Atel).

2.3.2 SES erbringt als Gesellschaft des schweizerischen Privatrechts im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen des Legge cantonale sulla municipalizzazione dei servizi pubblici Dienstleistungen im Bereich der Stromversorgung im – gemäss den gesetzlichen Vorschriften – territorial beschränkten Einzugsgebiet. Die Aktivitäten von SES basieren einerseits auf – für eine Dauer von mehreren Jahrzehnten zwischen SES und einzelnen Gemeinden abgeschlossenen – Monopol- und Sondernutzungskonzessionen sowie andererseits auf dem Legge istituente l’Azienda Elettrica Ticinese („LAET“), welches u.a. SES dazu verpflichtet, den im Kanton Tessin zu vertreibenden Strom ausschliesslich von Azienda Elettrica Ticinese („AET“), dem kantonalen Elektrizitätswerk, zu beziehen (Art. 3 Abs. 1 LAET). SES selbst produziert nur rund 5% von der vertriebenen Gesamtstrommenge.

Bei SES handelt es sich im Wesentlichen um einen regionalen Stromverteiler; die kommerziellen Aktivitäten von SES richten sich seit jeher vorwiegend an private Konsumenten und die lokale Wirtschaft. Aufgrund der Monopol- und Sondernutzungskonzessionen wirken die Tessiner Gemeinden einen starken Einfluss auf die geschäftlichen Aktivitäten von SES aus. Der Energielieferungsvertrag, wonach SES zum Energiebezug von AET verpflichtet ist, wurde im Jahre 2004 erneut verlängert. Infolge der gesetzlich vorgeschriebenen Energiebezugspflicht von SES von AET unterhält Atel keine nennenswerten Geschäftsbeziehungen zu SES. SES ist für Atel auch im Hinblick auf das für letztere wichtige Italien-Geschäft nicht von Bedeutung, verfügt SES doch über keine Hochspannungsleitungen, die von Atel für den Transport von Strom nach Italien benötigt werden.
Der Beitrag des Bereichs Regionalversorgung zum strategischen Wert von Atel ist insgesamt gering. So beträgt gemäss Geschäftsbericht 2004 der Anteil des Energieabsatzes im Bereich „Regionale Versorger Schweiz“ – wie im Jahre 2003 – 5%. Der Anteil von SES am Gesamtgeschäft von Atel machte im Jahr 2004 rund 1% des Absatzes in kWh (2003: 2%) bzw. rund 2% (2003: 2.8%) des Umsatzes in CHF aus.

2.3.3 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sich seit der Empfehlung der Übernahmekommission in Sachen Società Elettrica Sopracenerina S.A. vom 13. Mai 2004 (Ausnahme von der Angebotspflicht durch UBS infolge des Erwerbs von Motor-Columbus-Aktien von RWE Plus Beteiligungsgesellschaft Zentral mbH) nichts Grundlegendes an der Stellung von SES innerhalb der Atel-Gruppe verändert hat. Die Geschäftstätigkeiten von SES innerhalb der Atel-Gruppe sind nach wie vor derart marginal, dass Atel ohne Einschränkungen auch ohne die Beteiligung in SES operieren könnte. Aufgrund dieser geschäftsmässig und strategisch marginalen Bedeutung von SES für Atel und damit auch für den Wert der Motor-Columbus Aktien sowie für die Umstrukturierung von Atel und Motor-Columbus ist nicht anzunehmen, dass der Kauf von Motor-Columbus Aktien ohne die SES-Beteiligung nicht vorgenommen worden wäre. Demzufolge ist davon auszugehen, dass der indirekte Erwerb der SES-Beteiligung nicht zu den Hauptzielen der Transaktion der Gesuchsteller gehört.

2.4 Ferner muss gemäss Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK geprüft werden, ob die Interessen der (Minderheits-)Aktionäre der indirekt übernommenen Gesellschaft als gewahrt betrachtet werden können.

2.4.1 Hauptzweck der Angebotspflicht gemäss Art. 32 BEHG ist der Schutz der Minderheitsaktionäre: Diese sollen im Falle veränderter Kontrollverhältnisse die Möglichkeit erhalten, aus ihrer Investition auszusteigen. Diesem Zweck und somit dem Ausstiegsrecht liegt die Vermutung zu Grunde, dass der Erwerber einer Kontrollmehrheit seine Kontrollmöglichkeiten wahrnehmen und Einfluss auf die strategische und operative Führung der Gesellschaft ausüben wird. Ist dies hingegen nicht der Fall und belässt der Erwerber der indirekt erworbenen Zielgesellschaft derselben ihre operative Selbständigkeit, kann davon ausgegangen werden, dass die Interessen der Minderheitsaktionäre als “gewahrt“ im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK gelten.

Die Wahrung der operativen Selbständigkeit impliziert indessen nicht, dass eine Konzernmutter ihre durch indirekten Erwerb akquirierte Tochter überhaupt nicht organisatorisch in den Konzern eingliedern und einer minimalen Aufsicht und Kontrolle unterstellen darf. Ein totaler Aufsichts- und Kontrollverzicht der Muttergesellschaft ist weder im Interesse der Tochtergesellschaft noch im Interesse ihrer Aktionäre. Insbesondere darf der Erwerber seine Rechte als Aktionär und in dieser Funktion auch sein Recht auf eine optimale Bewirtschaftung seiner Beteiligung geltend machen und beispielsweise an einer im Interesse der indirekt übernommenen Tochtergesellschaft – insbesondere in Krisenzeiten – allenfalls neu vorzunehmenden Besetzung ihres Verwaltungsrats mitwirken.

Hingegen darf die Konzernintegration nicht zu einer vollständigen Einordnung der Tochtergesellschaft in den Konzern mit operativer Kompetenzattraktion der Muttergesellschaft und damit korrelierendem Entzug zentraler Leitungsfunktionen bei der indirekt erworbenen Tochtergesellschaft führen. Die Integration der indirekt erworbenen Gesellschaft in den Konzern darf also nicht so weit gehen, dass ihre operative Selbständigkeit aufgehoben bzw. massgeblich beschnitten und ihre einzelgesellschaftliche Interessenverfolgung durch die Interessenverfolgung des Konzerns überlagert wird. Die Wahrung der Interessen der Aktionäre im Sinne von Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK und die Nichtgewährung ihres Ausstiegsrechts im Sinne von Art. 32 BEHG setzen eben voraus, dass in Bezug auf die Geschäftsführung der Status quo ohne bedeutsamen Einfluss des Erwerbers fortgesetzt und somit der Tochtergesellschaft – trotz Kontrollwechsel und allfälliger organisatorischer Eingliederung in den Konzern – ihre operative Selbständigkeit belassen wird und ihre Interessen nicht denen des Konzerns als Ganzem untergeordnet werden.

2.4.2 Die Gesuchsteller legen dar, dass sie keine Absicht haben, auf den Geschäftsgang oder die Geschäftspolitik und somit auf die operative Selbständigkeit von SES in einer Art einzuwirken, die über das bisherige Mass hinausgeht. Organisatorisch soll SES nicht in den Konzern eingegliedert werden. Die Gesuchsteller wollen SES die operative Selbständigkeit belassen und deren Interessen nicht denen des Konzerns als Ganzem unterordnen. Atel hätte aufgrund der bisherigen Kontrolle durch die als Finanzinvestorin auftretende UBS weitgehende Freiheit gehabt, ob bzw. in welchem Mass sie auf die Geschäftstätigkeit von SES Einfluss habe nehmen wollen, aber kraft eigener Entscheidung habe sie dies nicht in einer Weise getan, die der Empfehlung in Sachen Sopracenerina vom 13. Mai 2004 widersprochen hätte. Atel stelle im Verwaltungsrat von SES lediglich eine Minderheit der Verwaltungsräte. Die Geschäftsleitung von SES sei operationell von Atel vollkommen unabhängig. Ferner bestehe keine Einflussmöglichkeit von Atel auf das Tagesgeschäft von SES; insbesondere würden keine gemeinsamen Konzernsitzungen stattfinden. Ebensowenig nehme Atel bzw. deren Konzernleitung an den Geschäftsleitungssitzungen von SES teil.

2.4.3 Dem Konsortium wurde mit Unterzeichnung der Konsortialvereinbarung die Kontrolle über Atel und damit indirekt über SES vermittelt (vgl. Erwägung 1.3). Aufgrund der 55.64%-igen Beteiligung können das Konsortium und Atel einen wesentlichen Einfluss auf die operative Selbständigkeit von SES ausüben. Nach Angaben der Gesuchsteller hat Atel in der Vergangenheit keinen wesentlichen Einfluss auf den Geschäftsgang oder die Geschäftspolitik bzw. auf die operative Selbständigkeit von SES ausgeübt, und haben Atel sowie das Konsortium auch keine Absicht, dies in Zukunft zu tun. Die Konsortialvereinbarung enthält denn auch keine Vorschriften, die auf die Ausübung der operativen Kontrolle von SES zielen. Zudem bestehen weder Vorkaufsrechte in Bezug auf die Aktien, die Atel an SES hält, noch wurden Corporate Governance-Vorschriften hinsichtlich SES vereinbart. Schliesslich sieht die Konsortialvereinbarung vor, dass die neu strukturierte Holding (vgl. Sachverhalt lit. F) im Bereich der regionalen Versorgung keine eigentliche wesentliche Rolle übernehmen soll, sondern dies der Verantwortung von regionalen Versorgungsgesellschaften wie z.B. SES überlassen wird. Die Übernahmekommission hat keinen Anlass an den Darstellungen der Gesuchsteller zu zweifeln. Ebensowenig sind der vorgelegten Konsortialvereinbarung Bestimmungen zu entnehmen, die darauf schliessen lassen, dass das Konsortium und/oder Atel beabsichtigen, in Zukunft direkt oder indirekt Einfluss auf den Geschäftsgang oder die Geschäftspolitik und somit auf die operative Selbständigkeit von SES auszuüben. Somit kann davon ausgegangen werden, dass die Interessen der Minderheitsaktionäre gewahrt sind.

2.5 Abschliessend kann festgehalten werden, dass die Voraussetzungen einer auf Art. 34 Abs. 2 lit. c BEHV-EBK gestützten Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht erfüllt sind.

3. Gegenstandslosigkeit des Eventualantrags um Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist nach Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK

Das von den Gesuchstellern eventualiter eingereichte Gesuch um Verlängerung der Sechs-Wochen-Frist nach Art. 9 Abs. 1 UEV-UEK zur Unterbreitung eines öffentlichen Kaufangebots für alle sich im Publikum befindenden Namenaktien von SES (vgl. Sachverhalt lit. G) ist aufgrund der Gewährung der Ausnahme von der Angebotspflicht als gegenstandslos zu betrachten.

4. Stellungnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats der Zielgesellschaft

4.1 Der Verwaltungsrat einer (potentiellen) Zielgesellschaft hat nicht nur im Rahmen eines öffentlichen Kaufangebots eine Stellungnahme zu veröffentlichen (Art. 29 Abs. 1 BEHG i.V.m. Art. 31 ff. UEV-UEK), sondern gemäss Praxis der Übernahmekommission auch zu Gesuchen von Aktionären um Gewährung einer Ausnahme von der Angebotspflicht nach Art. 32 Abs. 2 BEHG und 34 BEHV-EBK Stellung zu nehmen (vgl. , Erw. 1.2).

4.2 Die Verwaltungsratsmitglieder von SES halten in ihrer Stellungnahme fest, dass sie die Gutheissung des Ausnahmegesuchs des Konsortiums und Atel unterstützen. Insbesondere wird in der Stellungnahme im Wesentlichen die Bedeutung von SES für die regionale, im öffentlichen Interesse liegende Stromversorgung betont und die Auffassung vertreten, dass die operationelle Freiheit von SES auch unter den neuen Verhältnissen weitergeführt werden kann und damit die Interessen sämtlicher Aktionäre von SES gewahrt sind.

Der dreizehnköpfige Verwaltungsrat von SES setzt sich wie folgt zusammen: Alessandro Sala (Präsident), Antonio Taormina (Vizepräsident) sowie den Mitgliedern Giovanni Leonardi, Enrico Broggini, Milo Caroni, Carla Speziali, Fabio Abate, Consuelo Allidi, Flavio Cotti, Felice Dafond, Jean-François Dominé, Michele Gilardi und Michel Vögeli. Giovanni Leonardi ist zugleich CEO von Atel; Antonio Taormina ist Mitglied der Geschäftsleitung von Atel und Michel Vögeli ist ein Mitarbeiter von Atel. Schliesslich hat Atel mit Alessandro Sala sowie Fabio Abate und Consuelo Allidi Mandatsverträge abgeschlossen. Im Hinblick auf die potentiellen Interessenkonflikte hat der Verwaltungsrat von SES darauf hingewiesen, dass die oben erwähnten Mitglieder in den Ausstand getreten sind und sich die Stellungnahme nur auf Verwaltungsratsmitglieder von SES stützt, die sowohl von Atel als auch den Konsortialmitgliedern unabhängig sind.

4.3 Die Überlegungen und die Argumentation des Verwaltungsrats von SES bei der Gutheissung des Gesuchs der Gesuchsteller sind aus seiner Stellungnahme ersichtlich. Nachdem das Zustandekommen des Entscheids anlässlich der Abgabe dieser Stellungnahme und die Frage allfälliger Interessenkonflikte vom Verwaltungsrat von SES in seiner Stellungnahme ebenfalls offengelegt worden sind, können die Minderheitsaktionäre in voller Kenntnis der Sachlage über die Ausübung ihres Einspracherechts nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK entscheiden.

5. Auflage für die Gesuchsteller

Gestützt auf Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für die Gesuchsteller verbunden, SES im Sinne der in Ziffer 2.4 gemachten Erwägungen ihre operative Selbständigkeit zu belassen.
In diesem Zusammenhang haben die Gesuchsteller der Übernahmekommission jegliche Änderung hinsichtlich der operativen Selbständigkeit von SES wie z.B. die Ernennung eines Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitgliedes durch Atel umgehend mitzuteilen sowie allfällige Konzernreglemente SES betreffend einzureichen. Die Übernahmekommission behält sich eine Neubeurteilung vor.

6. Auflage für die Zielgesellschaft

Gemäss Art. 34 Abs. 3 BEHV-EBK wird die Ausnahmegewährung im vorliegenden Fall mit der Auflage für SES verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrats, mit der dieser das Gesuch des Konsortiums und Atel unterstützt, zu veröffentlichen. Diese Massnahme sollte den Inhabern von Beteiligungspapieren von SES ermöglichen, in Kenntnis der Sachlage über die Ausübung des Einspracherechts nach Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK zu entscheiden.

Auf die Veröffentlichung der Stellungnahme findet Art. 32 UEV-UEK sinngemäss Anwendung (siehe Empfehlung in Sachen SC Turnaround Invest AG vom 29. Oktober 2003). Die Stellungnahme des Verwaltungsrats von SES muss demnach zumindest in einer deutsch- und einer italienischsprachigen Zeitung publiziert werden, und zwar in einer Art, die eine nationale Verbreitung sicherstellt. Weiter muss die Stellungnahme auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden (Art. 32 Abs. 3 UEV-UEK). Die Publikation der Stellungnahme des Verwaltungsrats hat am 18. November 2005 zu erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiederzugeben. Die Übernahmekommission wird die Gewährung der Ausnahme am selben Tag im Schweizerischen Handelsamtsblatt veröffentlichen.

7. Publikation

Die vorliegende Empfehlung wird in Anwendung von Art. 23 Abs. 3 BEHG nach Eröffnung an die Gesuchsteller und die Zielgesellschaft am 18. November 2005 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht. Die Befreiung von der Angebotspflicht wird im SHAB vom 17. November 2005, das am 18. November 2005 erscheint, publiziert.

8. Gebühren

In Anwendung von Art. 23 Abs. 5 BEHG und Art. 62 Abs. 6 UEV-UEK wird für die Gewährung der vorliegenden Ausnahme von der Pflicht zur Unterbreitung eines Angebots eine Gebühr erhoben. Der Ausschuss setzt die Gebühr auf CHF 30'000 fest.


Die Übernahmekommission erlässt folgende Empfehlung:

  1. Electricité de France International, Paris/Frankreich, EOS-Holding, Lausanne, Aziende Industriali di Lugano AG, Lugano, Elektra Birseck, Münchenstein, der Elektra Baselland, Liestal, IBAarau AG, Aarau, dem Kanton Solothurn und den Wasserwerken Zug, Zug sowie der Aare-Tessin AG für Elektrizität, Olten, wird eine Ausnahme von der Pflicht gewährt, den Aktionären von Società Elettrica Sopracenerina S.A., Locarno, ein öffentliches Kaufangebot zu unterbreiten.

  2. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für Electricité de France International, EOS-Holding, Aziende Industriali di Lugano AG, Elektra Birseck, Elektra Baselland, IBAarau AG, den Kanton Solothurn und die Wasserwerke Zug, Zug, sowie Aare-Tessin AG für Elektrizität, Olten, verbunden, Società Elettrica Sopracenerina S.A. ihre operative Selbständigkeit im Sinne der Erwägungen in Ziffer 2.4 zu belassen.

  3. In diesem Zusammenhang haben die Gesuchsteller der Übernahmekommission jegliche Änderung hinsichtlich der operativen Selbständigkeit von SES wie z.B. die Ernennung eines Verwaltungsrats- oder Geschäftsleitungsmitgliedes durch Atel umgehend mitzuteilen sowie allfällige Konzernreglemente SES betreffend einzureichen. Die Übernahmekommission behält sich eine Neubeurteilung vor.
     

  4. Diese Ausnahmegewährung wird mit der Auflage für Società Elettrica Sopracenerina S.A. verbunden, die Stellungnahme ihres Verwaltungsrats, mit der sich dieser für die Erteilung dieser Ausnahme ausgesprochen hat, zu veröffentlichen. Die Publikation hat am 18. November 2005 zumindest in einer deutsch- und einer italienischsprachigen Zeitung in einer Art, die eine nationale Verbreitung gewährleistet, zu erfolgen und den Wortlaut von Art. 34 Abs. 4 BEHV-EBK wiederzugeben. Die Stellungnahme der Mitglieder des Verwaltungsrats muss auch mindestens einem der bedeutenden elektronischen Medien, welche Börseninformationen verbreiten, zugestellt werden. 

  5. Die vorliegende Empfehlung wird am 18. November 2005 auf der Website der Übernahmekommission veröffentlicht. 

  6. Die Gebühr zu Lasten von Electricité de France International, EOS-Holding, Aziende Industriali di Lugano AG, Elektra Birseck, Elektra Baselland, IBAarau AG, vom Kanton Solothurn und von den Wasserwerken Zug, Zug, sowie von Aare-Tessin AG für Elektrizität, Olten, beträgt CHF 30'000 unter solidarischer Haftung.


Der Präsident:

Hans Rudolf Widmer


Die Parteien können diese Empfehlung ablehnen, indem sie dies der Übernahmekommission spätestens fünf Börsentage nach Empfang der Empfehlung schriftlich melden. Die Übernahmekommission kann diese Frist verlängern. Sie beginnt bei Benachrichtigung per Telefax zu laufen. Eine Empfehlung, die nicht in der Frist von fünf Börsentagen abgelehnt wird, gilt als von den Parteien genehmigt. Wenn eine Empfehlung abgelehnt, nicht fristgerecht erfüllt oder wenn eine genehmigte Empfehlung missachtet wird, überweist die Übernahmekommission die Sache an die Bankenkommission zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens.


Mitteilung an:

  • EOS-Holding, EDF International, Elektra Birseck, Elektra Baselland, IBAarau AG, Aziende Industriali di Lugano SA, Wasserwerke Zug AG, den Kanton Solothurn und Aare-Tessin AG für Elektrizität, jeweils durch ihren Vertreter;

  • Società Elettrica Sopracenerina S.A.;

  • die EBK.